Manchmal sind es politische Entscheidungen mit ganz anderen Absichten, die unerwartet das Klima entlasten – wie bei der aktuellen Debatte um neue Zölle auf Fast-Fashion-Pakete aus China.
Das klingt erstmal nach Bürokratiekrimi. Aber es geht um mehr. Viel mehr. Über eine Milliarde Pakete – ja, wirklich Milliarden – rauschen jedes Jahr per Luftfracht aus China und Hongkong in die USA. Und damit in die Wohnzimmer, Kleiderschränke und Social-Media-Kanäle von Millionen Amerikaner*innen. Möglich macht das eine unscheinbare Regelung mit großem Einfluss: die sogenannte de minimis-Ausnahme.
Das Schlupfloch der Modekonzerne
Seit 2016 dürfen Waren im Wert von unter 800 US-Dollar zollfrei in die USA eingeführt werden. Praktisch? Durchaus. Denn die Idee dahinter war eigentlich, den Zollaufwand für kleine, private Onlinekäufe zu reduzieren.
Doch Plattformen wie Shein oder Temu haben daraus ein globales Geschäftsmodell gestrickt – mit massenhaft Kleinstlieferungen, die direkt von chinesischen Lagern an US-Kundinnen versendet werden. Das schont nicht nur das Portemonnaie der Käuferinnen, sondern auch die Steuerkassen chinesischer Anbieter. Ein Milliardengeschäft, wortwörtlich: Allein 2024 schätzte Chinas Zollbehörde den Gesamtwert dieser Pakete auf 23 Milliarden Dollar.
CO₂ in Kartons verpackt
Jetzt kommt die große, unbequeme Wahrheit: All diese Pakete reisen per Flugzeug – und Luftfracht pustet laut Climate Action Accelerator 68-mal mehr CO₂ pro Tonne in die Atmosphäre als Schiffstransporte. Klingt absurd? Ist es auch.
Noch vor wenigen Jahren war Luftfracht hauptsächlich frischen Lebensmitteln oder Hightech-Produkten vorbehalten. Heute transportieren Maschinen wie die Boeing 777 täglich Kleidung im Akkordtempo – allein für Shein, Temu und Co. schätzungsweise 108 Flieger pro Tag.
Wer soll das noch nachvollziehen? Wer braucht wirklich fünf Crop-Tops für 3,99 Dollar, wenn dafür das Klima in den Sinkflug geht?
Eine politische Schraube mit Nebenwirkung
Ex-Präsident Trump hat jetzt angekündigt, dieses Einfallstor zu schließen. Die neue Zollregel betrifft Sendungen aus China und Hongkong – mit drastischen Konsequenzen. Ab Juni drohen bis zu 200 Dollar Gebühren oder 120 Prozent des Warenwerts pro Paket. Eine echte Kehrtwende.
Und die Wirkung zeigt sich schnell: Bereits bei einer ersten, kurzfristigen Ankündigung im Februar sackten Shein-Verkäufe innerhalb von drei Tagen um satte 41 Prozent ab. Auch Temu verlor Kund*innen – wenn auch moderater.
Plötzlich wird es wieder attraktiv, große Lieferungen gebündelt per Schiff in US-Warenlager zu schicken – statt jede Socke einzeln ins Flugzeug zu packen. Ein Umweg, klar. Aber ein klimafreundlicher.
Tempo raus, Emissionen runter?
Was passiert, wenn Fast Fashion nicht mehr so „fast“ ist? Vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Denn was viele oft vergessen: Nicht nur die Produktion, auch der Transport verursacht immense Emissionen. Besonders, wenn alles „next day“ da sein soll.
Könnte dieser Schritt – ausgerechnet aus dem wirtschaftspolitischen Werkzeugkasten – also zu einer echten Klimachance werden? Womöglich.
Es wäre ein kleines Wunder der Umstände: Der Versuch, chinesische Billigimporte zu bremsen, könnte den überhitzten Emissionsmotor der globalen E-Commerce-Logistik zumindest ein Stück weit drosseln.
Vom Haul-Video zur Klimarechnung
Die Debatte um Fast Fashion ist nicht neu. Doch bisher drehte sich vieles um Textilabfälle, giftige Chemikalien und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse. Nun rückt auch der Transport stärker in den Fokus – zurecht.
Denn was bringt ein Bio-Baumwollshirt, wenn es mit einer CO₂-Schleppe per Luftpost geliefert wird?
Wer durch TikTok scrollt und die beliebten „Haul“-Clips sieht – diese Modeauspackorgien mit 20 Teilen für unter 100 Dollar – ahnt nicht, dass jedes Teil buchstäblich eine Klimafracht war.
Macht der Wandel Schule?
Einige Unternehmen reagieren bereits. Temu etwa betreibt inzwischen US-Lagerhäuser, aus denen etwa die Hälfte aller Bestellungen verschickt wird. Der große Trend zum „Sofortkauf“ könnte sich verlangsamen. Nicht aus freiwilliger Einsicht, sondern weil es schlicht teurer wird.
Und das? Ist gar nicht so schlimm.
Denn vielleicht ist es an der Zeit, dass wir – ja, auch wir Konsument*innen – innehalten. Müssen wirklich alle Teile innerhalb von 48 Stunden da sein? Reicht es nicht, wieder mal ein paar Tage zu warten? Vielleicht hilft genau dieser neue Impuls, um ein bisschen bewusster zu kaufen.
Ein Blick in die Zukunft
Der aktuelle Schritt aus den USA ist nur ein erster Hebel. Europa hat mit einer deutlich niedrigeren Freigrenze von 150 Euro bereits einen Vorsprung. Andere Länder wie Argentinien setzen 400 Dollar als Limit an. Auch hier könnte eine global koordinierte Zollpolitik den rasenden Konsum zügeln – und gleichzeitig die Emissionen.
Natürlich ersetzt das keine Dekarbonisierung der Luftfahrtbranche. Natürlich bleiben große Fragen offen: Wie lassen sich E-Commerce und Klimaschutz langfristig vereinbaren? Und wie kann man sicherstellen, dass Maßnahmen nicht auf Kosten von Menschen mit geringem Einkommen gehen?
Aber vielleicht – nur vielleicht – liegt in dieser Zollreform mehr Potenzial, als es auf den ersten Blick scheint. Vielleicht brauchen wir gar nicht immer den großen Plan. Manchmal reicht es, wenn ein kleines Schlupfloch geschlossen wird, um einen Dominoeffekt in Gang zu setzen.
Und wer weiß? Vielleicht packen wir dann bald nicht nur weniger Kartons, sondern auch den Klimawandel etwas wirksamer an.
Autor: Andreas M. Brucker