Bislang wurden Maßnahmen zum Schutz des Klimas und der biologischen Vielfalt oft parallel entwickelt. Dies wird jedoch inzwischen als überholt angesehen, da viele Ansätze sowohl das Klima als auch die biologische Vielfalt schützen können. Mit Blick auf die bevorstehende UN-Biodiversitätskonferenz hat ein internationales Wissenschaftlerteam die Rolle der potenziellen künftigen globalen Biodiversitätsziele (Post-2020 Action Targets for 2030) für den Klimaschutz bewertet und festgestellt, dass etwa zwei Drittel dieser Ziele auch zur Verlangsamung des Klimawandels beitragen können.
Wenn die Weltgemeinschaft im Herbst zum zweiten Teil der UN-Biodiversitätskonferenz in Kunming, China, zusammenkommt, muss sie auch die nächste Generation von UN-Biodiversitätszielen verabschieden. Diese werden dann die Aichi-Ziele ablösen, die bis 2020 angestrebt – und kaum erreicht wurden. 21 „Post-2020 Action Targets for 2030“ sind bereits vorformuliert. Sie müssen zwar noch endgültig vereinbart werden, zielen aber darauf ab, potenzielle Bedrohungen für die biologische Vielfalt zu verringern, das Wohlergehen der Menschen zu verbessern und Instrumente und Lösungen für die Erhaltung der biologischen Vielfalt umzusetzen.
In einer Übersichtsstudie für Global Change Biology haben die Autoren untersucht, inwieweit diese 21 Biodiversitätsziele auch den Klimawandel verlangsamen können. Das Ergebnis: 14 von 21 (d.h. zwei Drittel) aller Ziele leisten einen positiven Beitrag zum Klimaschutz. „Es zeigt sich, dass Schutzmaßnahmen, die den Verlust der biologischen Vielfalt aufhalten, verlangsamen oder rückgängig machen, gleichzeitig den vom Menschen verursachten Klimawandel stark verlangsamen können“, sagt die Hauptautorin Dr. Yunne-Jai Shin vom französischen Nationalen Forschungsinstitut für nachhaltige Entwicklung (IRD). Dies gilt unter anderem für das Ziel, Schutzgebiete durch Korridore oder weitere Schutzgebiete auf mindestens 30 % der Erdoberfläche zu verbinden. „Es gibt immer mehr Belege dafür, dass die Schaffung neuer Schutzgebiete und ein angemessenes Management bestehender Schutzgebiete an Land und im Meer dazu beitragen, den Klimawandel durch die Aufnahme und Speicherung von Kohlenstoff abzuschwächen“, sagt UFZ-Biodiversitätsforscher und Mitautor Prof. Josef Settele. So wird beispielsweise geschätzt, dass alle terrestrischen Schutzgebiete rund um den Globus derzeit 12-16% des gesamten globalen Kohlenstoffbestands speichern. Und obwohl das Wissen noch begrenzt ist, können auch Tiefsee-Ökosysteme wichtige Kohlenstoffvorräte auf dem Meeresboden enthalten (z. B. auf abgelegenen Inseln, Tiefseegebirgen und arktischen und antarktischen Kontinentalschelfen). Das Ziel von 30 % ist jedoch noch lange nicht erreicht. Nach aktuellen Zahlen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2021 liegt die Abdeckung von Schutzgebieten an Land bei 15,7 % und im Meer bei 7,7 %.
Das Klima profitiert aber auch von einigen der anderen neu formulierten globalen Biodiversitätsziele. Ein Ziel ist zum Beispiel auch die Wiederherstellung von mindestens 20 % der geschädigten Ökosysteme (z. B. tropische und subtropische Wälder) oder Küstenlebensräume (z. B. Korallenriffe, Seegraswiesen und Mangrovenwälder). Der Studie zufolge ist die globale Kohlenstoffbindung in Küstensystemen aufgrund ihrer geringeren Größe wesentlich geringer als in Landwäldern. Allerdings ist die Kohlenstoffmenge, die pro Flächeneinheit der Küstenvegetation gebunden wird, erheblich höher. Die Berücksichtigung der biologischen Vielfalt in Gesetzen, Richtlinien und Raumplanungsprozessen trägt auch zum Klimaschutz bei, da sie unter anderem die Abholzung von Wäldern verhindert, die ein wichtiger CO2-Speicher sind. Weitere Ziele, die sich sowohl für die Biodiversität als auch für den Klimaschutz positiv auswirken, sind der Ausbau grüner und blauer Infrastrukturen in den Städten (z.B. Parks, Gründächer und Seen) oder eine bessere Öffentlichkeitsarbeit, um die Bevölkerung zu einem nachhaltigeren Umgang mit Abfall und zu weniger Konsum zu bewegen.
Die Autoren haben 12 Fallstudien zusammengestellt, um zu veranschaulichen, wie diese Biodiversitätsziele bereits in der Praxis umgesetzt werden (z. B. beim Schutz afrikanischer Torfgebiete, beim Schutz der Megafauna im Südpolarmeer oder bei der Rettung der größten Mangrovenwälder der Erde, den Sundarbans, an der Grenze zwischen Indien und Bangladesch). Es kann aber auch zu Zielkonflikten zwischen dem Schutz des Klimas und der biologischen Vielfalt kommen. In Mitteleuropa ist die Erhaltung der Kulturlandschaft ein Beispiel dafür, dass sich nicht alles so einfach unter einen Hut bringen lässt. Einerseits hat die Nachahmung traditioneller Landnutzungssysteme anstelle einer Intensivierung oder gar Aufgabe der Landnutzung klare Vorteile für den Erhalt der Biodiversität. „Diese Systeme verringern das Aussterberisiko seltener Arten und Sorten, die an eine extensive landwirtschaftliche Nutzung gut angepasst sind, und fördern den Erhalt einer hohen Vielfalt an Bestäubern und natürlichen Feinden von Schädlingen“, sagt UFZ-Forscher Josef Settele.
Andererseits gibt es Konflikte, weil einige der Maßnahmen sogar klimaschädlich sind. „Weil ein großer Teil der Flächen landwirtschaftlich genutzt wird, ist der Waldanteil nicht so hoch, und es wird weniger Kohlenstoff gespeichert“, sagt er. Außerdem wird bei der Haltung von Rindern, Schafen und Kühen Methan freigesetzt, das dem Klima schadet. „Es besteht ein Konsens darüber, dass wir den Klimawandel aufhalten müssen – aber das darf nicht auf Kosten der Natur gehen. Wir müssen also Methoden finden, um den Klimawandel zu verlangsamen und Anpassungsmaßnahmen durchzuführen, ohne dass die Artenvielfalt verloren geht. Das ist oft nur durch Kompromisse möglich“, sagt Settele. Es wäre daher positiv, wenn viele der neuen globalen Biodiversitätsziele des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt umgesetzt würden. Prof. Hans-Otto Pörtner, Mitautor und Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), ergänzt: „Das Klimaproblem ist inzwischen gut verstanden. Die Frage der biologischen Vielfalt wird jedoch völlig losgelöst behandelt – auch wenn es um mögliche Lösungen geht. Es besteht auch die Gefahr, dass die Natur als Vehikel zur Lösung des Klimaproblems diskutiert wird; das ist sehr problematisch. Die Fähigkeit der Ökosysteme, den Klimawandel zu verlangsamen, wird überschätzt, und der Klimawandel schadet dieser Fähigkeit“. Dennoch glauben die Menschen, dass die Natur in der Lage ist, die Klimakrise zu überwinden und uns zu ermöglichen, die Nutzung fossiler Brennstoffe fortzusetzen oder zu verlängern. „Es ist aber genau umgekehrt: Nur wenn es uns gelingt, die Emissionen aus fossilen Brennstoffen drastisch zu reduzieren, kann uns die Natur helfen, das Klima zu stabilisieren“, sagt Pörtner.
Im Juni letzten Jahres haben die Wissenschaftler des Weltklimarates (IPCC) und der Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) in einem gemeinsamen Werkstattbericht den aktuellen Wissensstand zu Biodiversität und Klimawandel zusammengetragen und Handlungsoptionen definiert und priorisiert.
Datum: April 26, 2022
Quelle: Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ
Journal Reference:
- Yunne‐Jai Shin, Guy F. Midgley, Emma R. M. Archer, Almut Arneth, David K. A. Barnes, Lena Chan, Shizuka Hashimoto, Ove Hoegh‐Guldberg, Gregory Insarov, Paul Leadley, Lisa A. Levin, Hien T. Ngo, Ram Pandit, Aliny P. F. Pires, Hans‐Otto Pörtner, Alex D. Rogers, Robert J. Scholes, Josef Settele, Pete Smith. Actions to halt biodiversity loss generally benefit the climate. Global Change Biology, 2022; 28 (9): 2846 DOI: 10.1111/gcb.16109