2,73 Meter. So tief stand der Pegel Konstanz zuletzt. Wer jetzt denkt, das klingt nach einer soliden Zahl, liegt daneben – denn dieser Wert liegt rund 70 Zentimeter unter dem Stand des Vorjahres. Und noch dramatischer: Er unterschreitet den langjährigen Durchschnitt für diese Jahreszeit deutlich. Der Bodensee, eines der wichtigsten Trinkwasserreservoire Europas, verliert – und zwar nicht nur an Tiefe, sondern auch an Balance.
Was ist da los mit dem Wasser?
Der aktuelle Niedrigstand kommt nicht aus dem Nichts. Es ist vielmehr das Resultat eines komplexen Zusammenspiels verschiedener Faktoren, die in dieser Form früher selten gleichzeitig auftraten:
- Im Winter gab es wenig Regen und noch weniger Schnee.
- Die erwartete Schneeschmelze aus den Alpen? Fehlanzeige – zu warm, zu trocken, zu wenig Schnee.
- Und die Frühjahrsniederschläge, die den See oft wieder füllen? Bisher viel zu zaghaft.
All das führt dazu, dass der Bodensee schlicht nicht genug „Nachschub“ bekommt. Klingt technisch? Ist aber ein echtes Problem.
Schiffe, Strände und stille Sorgen
Wer in Friedrichshafen am Hafen steht, sieht es mit eigenen Augen: Anleger liegen trocken, Stege ragen ins Leere. Die weißen Ausflugsschiffe, die sonst wie stolze Schwäne über den See gleiten, müssen improvisieren – oder bleiben gleich im Hafen.
Die Schifffahrt steckt in der Klemme. Fähren und Frachtschiffe können manche Anlegestellen nicht mehr sicher erreichen, der Betrieb wird eingeschränkt, Umwege werden nötig – mit wirtschaftlichen Folgen. Auch der Güterverkehr über das Wasser leidet.
Der Tourismus spürt den Druck ebenfalls. Seglerinnen und Stand-up-Paddler müssen umplanen. Badestellen verschieben sich, viele Strände wirken plötzlich seltsam unfertig. Nicht wenige Urlauber reiben sich verwundert die Augen: „So sieht der Bodensee doch sonst nie aus!“
Und die Natur? Die spricht gerade Bände
Wo sonst Wellen ans Ufer schlagen, liegt nun nackter Boden. Dieser „neue“ Lebensraum verändert das Ökosystem drastisch. Pflanzen siedeln sich dort an, wo eigentlich Fische laichen sollten. Wasservögel finden weniger Nahrung. Und flache Buchten – oft Rückzugsorte für Jungfische – trocknen aus oder heizen sich stark auf.
Wer genau hinschaut, erkennt erste Anzeichen eines ökologischen Ungleichgewichts. Noch ist nichts verloren, doch das System steht unter Stress. Und dieser Stress kann kippen – schneller als gedacht.
Schon mal passiert – aber diesmal früher
Historisch gesehen ist der Bodensee nicht zum ersten Mal in einer kritischen Phase. 1921 und 1972 lagen die Pegelstände sogar noch niedriger – bei rund 2,60 Metern. Doch der entscheidende Unterschied: Diese Tiefpunkte wurden jeweils deutlich später im Jahr erreicht, meist im Hochsommer oder Herbst.
Jetzt? Stecken wir Anfang April mittendrin in einer Trockenperiode, die sonst eher als Sommerphänomen bekannt ist. Ein Frühstart, den niemand bestellt hat.
Warten auf den Regen – und auf die Politik
Natürlich hoffen alle auf mehr Regen. Auf einen kühlen, nassen Frühling. Auf Schneefall in den Höhen und kräftige Schauer über dem Einzugsgebiet des Sees. Doch darauf allein zu setzen, wäre naiv.
Hydrologinnen und Meteorologen beobachten die Situation genau. Prognosen sind vorsichtig – und zeigen klar: Ohne ausreichende Niederschläge wird sich der Pegel nicht erholen. Und je länger der Wasserstand niedrig bleibt, desto größer die Schäden.
Gleichzeitig rücken strukturelle Fragen in den Vordergrund: Wie viel Wasser entnehmen Städte und Industrie? Wie können Speicherstrategien angepasst werden? Und vor allem: Wie resilient ist der Bodensee gegenüber dem Klimawandel?
Was, wenn das zur neuen Normalität wird?
Diese Frage stellen sich viele gerade mit wachsender Besorgnis. Denn was passiert, wenn diese Art von Frühjahrs-Trockenheit zur Regel wird? Wenn der See in Zukunft regelmäßig in die Knie geht?
Wasser ist keine unerschöpfliche Ressource. Auch wenn es auf den ersten Blick so wirkt – ein See von der Größe des Bodensees ist nicht unverwundbar. Im Gegenteil. Er reagiert sensibel auf klimatische Veränderungen. Und genau das zeigt sich gerade mit voller Wucht.
Eine Region auf der Kippe – und ein See als Warnsignal
Der Bodensee ist mehr als ein schöner Ort für Wochenendausflüge. Er ist Lebensgrundlage für Millionen Menschen. Trinkwasserspeicher, Wirtschaftsachse, Tourismusmotor, Naturparadies. Und: ein Gradmesser für den Zustand unserer Umwelt.
Wenn sein Pegel fällt, dann fällt damit auch ein Stück Stabilität. Es ist ein sichtbares Zeichen dafür, wie ernst die Lage ist – und wie dringend wir umdenken müssen.
Denn klar ist: So weiterzumachen wie bisher – das wird in Zukunft kaum noch aufgehen.
Andreas M. Brucker