Vor etwa 35 Millionen Jahren kühlte die Erde rasch ab. Etwa zur gleichen Zeit bildete sich die Drake-Passage zwischen Südamerika und der Antarktis und ebnete den Weg für den antarktischen Zirkumpolarstrom. Dank dieser beiden Faktoren war die Antarktis bald vollständig mit Eis bedeckt. Wie eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts nun zeigt, wurde diese massive Vergletscherung zumindest in einer Region verzögert. Dieses neue Puzzleteil über die frühe Geschichte des westantarktischen Eisschildes könnte helfen, seine instabile Zukunft vorherzusagen. Die Studie wurde gerade in der Zeitschrift Nature Communications Earth & Environment veröffentlicht.
Für Klimaforscher steht die Westantarktis schon seit Jahren im Mittelpunkt des Interesses. Hier erstreckt sich der westantarktische Eisschild, der auf dem Kontinent liegt, bis zur angrenzenden Amundsen-See. In Küstennähe steht das Eis noch in direktem Kontakt mit dem Boden, weiter in Richtung offenes Meer schwimmt es. Da sich das Meerwasser durch den Klimawandel immer mehr erwärmt, erodiert es das Schelfeis zunehmend von unten. Die Grundlinie – der letzte Punkt, an dem das Eis noch auf dem Boden ruht – verschiebt sich immer weiter ins Landesinnere. Durch Schmelzwasser und kalbende Eisberge verliert der Thwaites-Gletscher, der in die Amundsen-See mündet, heute doppelt so viel Eis wie noch vor 30 Jahren. Sollte der westantarktische Eisschild vollständig zusammenbrechen, würde der globale Meeresspiegel um mehr als drei Meter ansteigen.
„Die Stabilität des Westantarktischen Eisschildes ist entscheidend für die zukünftige Entwicklung des globalen Meeresspiegels“, sagt die Erstautorin der Studie, Gabriele Uenzelmann-Neben vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Dementsprechend arbeiten Forscher weltweit daran, das zukünftige Verhalten des Eises in einer wärmeren Welt durch numerische Simulationen vorherzusagen. Je mehr wir über die Geschichte des Westantarktischen Eisschildes wissen, desto genauer können wir diese Modelle erstellen. Die jüngere Geschichte des Eisschilds ist gut dokumentiert, aber wir wissen immer noch sehr wenig über die früheren Jahre – insbesondere die Entstehungsphase. Unsere Studie liefert ein wichtiges Teil des Puzzles“.
Im Rahmen von zwei Forschungsfahrten an Bord der Polarstern untersuchten die Geophysikerin und ihr Team Sedimente in der Nähe des Pine Island Trough, einer kanalartigen Furche im Meeresboden des flachen Teils der Amundsen-See, die sich von Norden nach Süden erstreckt und direkt auf die Westküste der Antarktis zuläuft. Um Daten zu sammeln, setzte das AWI-Team auf die bewährte Methode der Reflexionsseismik: Die Polarstern schleppte ein 3.000 Meter langes Messkabel, den Streamer, hinter sich her. Der Streamer ist mit Hydrophonen ausgestattet, die insgesamt 240 Messkanäle nutzen. Während der Vermessungsfahrten werden mit einer Airgun seismische Impulse hinter dem Schiff erzeugt. Diese Impulse durchdringen den Meeresboden und werden an geologischen Grenzen – z. B. zwischen Sediment und hartem Gestein – reflektiert und von den Hydrophonen des Streamers aufgezeichnet. Anhand der unterschiedlichen Laufzeiten der Wellen und der jeweiligen Positionen der einzelnen Kanäle lässt sich die innere Struktur des Meeresbodens kartieren.
Die Messdaten ergaben, dass sich an der Ostflanke des Pine Island Trough ein großer Sedimentkörper, ein Sedimentdrift, befindet, der auf der Westseite kein Gegenstück hat. „Aufgrund des Coriolis-Effekts, der durch die Erdrotation hervorgerufen wird, kann diese asymmetrische Ablagerung einer Sedimentdrift auf der Ostseite des Troges, nicht aber auf der Westseite, nur durch eine Tiefenwasserströmung entstanden sein, die von Norden nach Süden auf die Küste zuströmte“, sagt Uenzelmann-Neben. „Dazu müsste die Ozeanzirkulation zur Zeit der Ablagerung ähnlich sein wie heute, das heißt, die vorherrschenden Westwinde und der Antarktische Zirkumpolarstrom müssten weit im Süden gelegen haben. Und ähnlich wie heute muss das Tiefenwasser, das durch den Trog aufstieg, vergleichsweise warm gewesen sein.“
Weitere Untersuchungen von Pollen aus Sedimentkernen, die in der Nähe des Troges gesammelt wurden, deuten darauf hin, dass sich die Basis der Sedimentdrift vor etwa 34 bis 36 Millionen Jahren gebildet hat. Genau zur gleichen Zeit – an der Grenze zwischen Eozän und Oligozän – sanken die Temperaturen rund um den Globus, und der antarktische Kontinent wurde mit Eis bedeckt. „Unsere Studie liefert überzeugende Beweise dafür, dass zur Zeit der großen Vergletscherung wärmeres Tiefenwasser in der Nähe des Schelfs der Amundsen-See aufstieg und die Ausdehnung des westantarktischen Eisschilds zum Meer hin verzögerte“, erklärt der AWI-Geophysiker. „Dieser wichtige und unerwartete Befund unterstreicht die enorme Bedeutung, die die Meeresströmungen bereits in der Entstehungsphase des Westantarktischen Eisschildes hatten und auch heute noch haben. Mit diesem zusätzlichen Wissen über die früheste Phase des Eisschildes können nun Prognosen über seine zukünftige Stabilität und seinen Eisrückgang verbessert werden.“
Datum: Februar 21, 2022
Quelle: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung
Journal Reference:
- Gabriele Uenzelmann-Neben, Karsten Gohl, Katharina Hochmuth, Ulrich Salzmann, Robert D. Larter, Claus-Dieter Hillenbrand, Johann P. Klages, V. Afanasyeva, J. E. Arndt, T. Bickert, S. M. Bohaty, R. Dziadek, B. Ebermann, W. Ehrmann, O. Esper, T. Frederichs, T. Freudenthal, C. Gebhardt, K. Küssner, G. Kuhn, Y. Najman, H. Pälike, F. Riefstahl, T. Ronge, M. Scheinert, P. Simoes Pereira, J. A. Smith, C. Spiegel, T. Van de Flierdt, M. Zundel. Deep water inflow slowed offshore expansion of the West Antarctic Ice Sheet at the Eocene-Oligocene transition. Communications Earth & Environment, 2022; 3 (1) DOI: 10.1038/s43247-022-00369-x