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Grönland – das klingt nach Stille, Eis und endlosen Weiten. Doch unter dieser scheinbaren Ruhe verbirgt sich eine dynamische, dramatische Veränderung, die unser ganzes Klimasystem betrifft. Zwischen 1992 und heute hat die größte Insel der Welt über 5 Billionen Tonnen Eis verloren. Und als wäre das nicht schon beunruhigend genug, zeigen neueste Drohnenmessungen: Es läuft noch mehr ab, als bislang angenommen – wortwörtlich und im übertragenen Sinne.

Eine Mission über dem Eis

Ein Forschungsteam unter Leitung von Kevin Rozmiarek vom Institute of Arctic and Alpine Research (INSTAAR) hat das Unmögliche möglich gemacht: Mit einer speziell entwickelten Drohne flogen sie 104 Missionen über dem grönländischen Eisschild und sammelten Wasserdampfdaten aus bis zu 1.500 Metern Höhe.

Was daran so besonders ist? Die Arktis ist extrem – windig, eisig, technisch herausfordernd. Bisherige Luftproben stützten sich oft auf teure, seltene Flugzeugflüge oder Stationen am Boden. Diese Drohnen aber – mit etwa drei Metern Spannweite und Hightech-„Nasen“ ausgestattet – liefern nun erstmals detaillierte Einblicke in einen bislang weitgehend unbekannten Teil des arktischen Wasserkreislaufs.

Sublimation: Wenn Schnee direkt zu Dampf wird

Ein Prozess, der dabei in den Fokus rückte, ist die Sublimation – der direkte Übergang von festem Schnee zu Wasserdampf, ohne den Umweg über das flüssige Stadium. In einigen Regionen Grönlands gehen bis zu 30 Prozent des Sommeroberflächenschnees auf diesem Weg verloren.

Und hier beginnt das Rätsel: Was passiert mit diesem Wasserdampf? Bleibt er lokal? Wird er wieder zu Schnee? Oder verlässt er Grönlands System vollständig?

Antworten liefert die sogenannte Isotopenanalyse. Durch das „Fingerabdruck“-Verfahren – bei dem Wasserstoff- und Sauerstoffatome im Dampf untersucht werden – können die Wissenschaftler genau nachvollziehen, woher der Dampf kommt und wohin er zieht. Und das Resultat war überraschend: Frühere Computermodelle unterschätzten sowohl die Niederschlagsmengen als auch die Dynamik des Wasserdampfs in der Arktis.

Präzisere Modelle – bessere Vorhersagen

Durch die Einbindung der neuen Drohnendaten wurden die bestehenden Klimamodelle für Grönland deutlich verfeinert. Das ist mehr als eine akademische Fingerübung. Denn je besser wir wissen, wie Wasser sich über, auf und in Grönland bewegt, desto besser lassen sich zukünftige Entwicklungen prognostizieren – einschließlich des globalen Meeresspiegelanstiegs.

Ein kurzer Exkurs: Während der letzten Warmzeit vor etwa 125.000 Jahren war Grönland deutlich kleiner. Der Meeresspiegel lag bis zu sechs Meter höher als heute. Die aktuellen Veränderungen lassen vermuten, dass sich die Geschichte wiederholen könnte – nur schneller.

Mehr als nur Eisverlust

Der grönländische Eisschild enthält rund acht Prozent des globalen Süßwassers. Wenn dieses Wasser schmilzt und in den Ozean gelangt, verändert es nicht nur den Meeresspiegel. Es beeinflusst auch Meeresströmungen wie die Atlantische Umwälzzirkulation (AMOC), das Klima in Europa und Nordamerika – und sogar tropische Wetterphänomene.

Darum ist die Arbeit von Rozmiarek und seinem Team so essenziell. Ihre Forschung zeigt: Die Arktis ist kein abgeschotteter Kältepol, sondern ein sensibler Taktgeber des Weltklimas.

Hightech gegen die Klimakrise

Die eigentliche Heldin dieser Geschichte? Die Drohne. Was früher nur mit Flugzeugen oder aufwendigen Expeditionen möglich war, gelingt heute mit einem leichten, wendigen Fluggerät. Sie fliegt auch bei harschen Bedingungen, braucht keinen Pilotensitz – und kostet nur einen Bruchteil traditioneller Messmethoden.

Drohnen wie diese könnten bald standardmäßig in der Klimaforschung zum Einsatz kommen – nicht nur in Grönland, sondern auch über Regenwäldern, Ozeanen oder städtischen Hitzeinseln.

Was bleibt?

Diese Forschung ist ein weiterer Beweis dafür, dass technologische Innovationen unser Verständnis vom Klimawandel revolutionieren können. Und sie zeigt, dass präzise Wissenschaft keine Zukunftsmusik mehr ist, sondern heute geschieht – über den Wolken, mitten im Eis.

Die entscheidende Frage lautet: Nutzen wir diese Erkenntnisse rechtzeitig – oder fliegen wir sehenden Auges weiter in die Erhitzung hinein?

Autor: MAB