Rückgang der Kieselalgen aufgrund der Versauerung der Ozeane

Kieselalgen sind die wichtigsten Produzenten pflanzlicher Biomasse im Meer und tragen dazu bei, Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre in die Tiefsee zu transportieren und damit unser Klima zu regulieren. Da Kieselalgen für den Aufbau ihrer Schalen eher auf Kieselsäure als auf Kalziumkarbonat angewiesen sind, ging man bisher davon aus, dass sie von der Versauerung der Ozeane profitieren – einer chemischen Veränderung des Meerwassers, die durch die zunehmende Aufnahme von CO2 ausgelöst wird und die Kalkbildung erschwert. In einer heute in Nature veröffentlichten Studie zeigen Wissenschaftler des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, dass auch Kieselalgen, eine Art von Plankton, betroffen sind. Analysen von Daten aus Feldexperimenten und Modellsimulationen legen nahe, dass die Ozeanversauerung die Kieselalgenpopulationen drastisch reduzieren könnte.

Während kalkbildende Organismen wie Austern und Korallen in saurerem Meerwasser Schwierigkeiten haben, ihre Schalen und Skelette zu bilden, galten Kieselalgen als weniger anfällig für die Auswirkungen der Ozeanversauerung – eine chemische Veränderung, die durch die Aufnahme von Kohlendioxid (CO2) ausgelöst wird. Die weltweit verbreiteten winzigen Kieselalgen nutzen Kieselsäure, eine Verbindung aus Silizium, Sauerstoff und Wasserstoff, als Baumaterial für ihre Schalen. Dass Kieselalgen dennoch bedroht sind, haben Forscher des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, des Institute of Geological and Nuclear Sciences Limited New Zealand und der University of Tasmania jetzt erstmals in einer in Nature veröffentlichten Studie nachgewiesen. Für die Studie verknüpften die Forscher eine übergreifende Analyse verschiedener Datenquellen mit der Modellierung des Erdsystems. Die Ergebnisse liefern eine neue Einschätzung der globalen Auswirkungen der Ozeanversauerung.

Als Folge der Ozeanversauerung lösen sich die Siliziumschalen der Kieselalgen langsamer auf. Dies ist kein Vorteil, sondern führt dazu, dass die Kieselalgen in tiefere Wasserschichten absinken, bevor sie sich chemisch auflösen und wieder in Kieselsäure umgewandelt werden. Infolgedessen wird dieser Nährstoff effizienter in die Tiefsee exportiert und wird in der lichtdurchfluteten Oberflächenschicht, wo er zur Bildung neuer Schalen benötigt wird, knapper. Dies führt zu einem Rückgang der Kieselalgen, wie die Wissenschaftler in ihrer jüngsten Veröffentlichung schreiben. Kieselalgen tragen zu 40 Prozent zur Produktion pflanzlicher Biomasse im Ozean bei und sind die Grundlage vieler mariner Nahrungsnetze. Sie sind auch die Hauptantriebskraft der biologischen Kohlenstoffpumpe, die CO2 zur langfristigen Speicherung in die Tiefsee transportiert.

Dr. Jan Taucher, Meeresbiologe am GEOMAR und Erstautor der Studie, sagt: „Mit einer übergreifenden Analyse von Feldexperimenten und Beobachtungsdaten wollten wir herausfinden, wie sich die Ozeanversauerung auf Kieselalgen im globalen Maßstab auswirkt. Unser derzeitiges Verständnis der ökologischen Auswirkungen von Ozeanveränderungen basiert weitgehend auf Experimenten in kleinem Maßstab, d. h. an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit. Diese Erkenntnisse können trügerisch sein, wenn die Komplexität des Erdsystems nicht berücksichtigt wird. Unsere Studie zeigt am Beispiel der Kieselalgen, wie kleinräumige Effekte zu ozeanweiten Veränderungen mit unvorhersehbaren und weitreichenden Folgen für marine Ökosysteme und Stoffkreisläufe führen können. Da Kieselalgen eine der wichtigsten Planktongruppen im Ozean sind, könnte ihr Rückgang zu einer erheblichen Verschiebung im marinen Nahrungsnetz oder sogar zu einer Veränderung des Ozeans als Kohlenstoffsenke führen“.

Die Meta-Analyse untersuchte Daten aus fünf Mesokosmen-Studien aus den Jahren 2010 bis 2014 aus verschiedenen Ozeanregionen, von arktischen bis zu subtropischen Gewässern. Mesokosmen sind eine Art großvolumiges, überdimensionales Reagenzglas im Ozean mit einem Fassungsvermögen von mehreren zehntausend Litern, in dem Veränderungen der Umweltbedingungen in einem geschlossenen, aber ansonsten natürlichen Ökosystem untersucht werden können. Zu diesem Zweck wurde das in den Mesokosmen eingeschlossene Wasser mit Kohlendioxid angereichert, um Zukunftsszenarien mit moderatem bis hohem Anstieg des atmosphärischen CO2-Gehalts zu entsprechen. Für die vorliegende Studie wurde die chemische Zusammensetzung von organischem Material aus Sedimentfallen ausgewertet, das im Laufe der mehrwöchigen Experimente durch das Wasser in den Versuchsbehältern sank. Zusammen mit den Messungen aus der Wassersäule ergab sich so ein genaues Bild der biogeochemischen Prozesse innerhalb des Ökosystems.

Die aus den Mesokosmen-Studien gewonnenen Erkenntnisse konnten durch globale Beobachtungsdaten aus dem offenen Ozean bestätigt werden. Sie zeigen – in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Meta-Analyse – eine geringere Auflösung der Siliziumschalen bei höherem Säuregehalt des Meerwassers. Mit den gewonnenen Datensätzen wurden Simulationen in einem Erdsystemmodell durchgeführt, um die ozeanweiten Folgen der beobachteten Trends abzuschätzen.

„Bereits bis zum Ende dieses Jahrhunderts erwarten wir einen Verlust von bis zu zehn Prozent der Kieselalgen. Das ist immens, wenn man bedenkt, wie wichtig sie für das Leben im Ozean und für das Klimasystem sind“, so Dr. Taucher weiter. „Es ist jedoch wichtig, über das Jahr 2100 hinaus zu denken. Der Klimawandel wird nicht abrupt aufhören, und vor allem die globalen Auswirkungen werden erst nach einiger Zeit deutlich sichtbar. Je nach Höhe der Emissionen sagt unser Modell in der Studie einen Verlust von bis zu 27 Prozent Kieselsäure in den Oberflächengewässern und einen ozeanweiten Rückgang der Kieselalgen um bis zu 26 Prozent bis zum Jahr 2200 voraus – mehr als ein Viertel des heutigen Bestandes.“

Dieses Ergebnis der Studie steht in krassem Gegensatz zum bisherigen Stand der Meeresforschung, die kalkbildende Organismen als Verlierer und Kieselalgen als weniger von der Ozeanversauerung betroffen sieht. Professor Ulf Riebesell, Meeresbiologe am GEOMAR und Leiter der Mesokosmen-Experimente ergänzt: „Diese Studie verdeutlicht einmal mehr die Komplexität des Erdsystems und die damit verbundene Schwierigkeit, die Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels in seiner Gesamtheit vorherzusagen. Überraschungen dieser Art erinnern uns immer wieder an die unkalkulierbaren Risiken, die wir eingehen, wenn wir dem Klimawandel nicht schnell und entschlossen entgegenwirken.“

Datum: Mai 25, 2022
Quelle: Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR)


Journal Reference:

  1. Jan Taucher, Lennart T. Bach, A. E. Friederike Prowe, Tim Boxhammer, Karin Kvale, Ulf Riebesell. Enhanced silica export in a future ocean triggers global diatom declineNature, 2022; 605 (7911): 696 DOI: 10.1038/s41586-022-04687-0

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