Klimapolitik als Friedensprojekt? Klingt erst mal ungewöhnlich. Doch eine neue Analyse des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) zeigt, wie ambitionierter Klimaschutz nicht nur CO₂ reduziert, sondern auch Europas sicherheitspolitische Position stärkt – insbesondere gegenüber Russland.
Und das Beste: Jeder Euro, den die EU bei Ölimporten einspart, bringt im Schnitt 37 Cent sicherheitspolitische Dividende. Klingt plötzlich gar nicht mehr so weltfremd, oder?
Weniger Öl = Weniger Krieg
Der Mechanismus dahinter ist erstaunlich einfach – und dennoch tiefgreifend. Weniger Ölnachfrage aus der EU bedeutet sinkende Weltmarktpreise. Das wiederum trifft jene Staaten, deren Staatshaushalt stark vom Öl abhängt. Allen voran: Russland.
Laut IfW Kiel verliert Russland für jeden eingesparten Euro an EU-Ölausgaben rund 13 Cent an Staatseinnahmen. Und das nicht irgendwo – sondern ganz direkt dort, wo es besonders schmerzt: im Militärhaushalt. Je weniger Petro-Dollars, desto weniger Panzer – so simpel kann Geopolitik sein.
Das Tempolimit als sicherheitspolitisches Instrument
Ein Beispiel mit Zündstoff: das Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Für manche ein Angriff auf die persönliche Freiheit – doch die Daten sind eindeutig.
Ein generelles Tempolimit könnte bis 2030 rund 33 Millionen Tonnen CO₂ einsparen. Und dabei nebenbei auch noch eine sicherheitspolitische Dividende von rund 2 Milliarden Euro bringen. Warum? Weil mit jedem eingesparten Liter Sprit auch weniger Öl nach Russland fließt. Ein echter Doppelschlag – für Klima und Sicherheit.
Klimaschutz ist kein Luxus – sondern Strategie
Joschka Wanner, Professor an der Universität Würzburg und Mitautor der Studie, bringt es auf den Punkt: „Klimapolitik ist keine konkurrierende Priorität zur Verteidigung – sie ist ihre strategische Ergänzung.“
Diese Aussage ist mehr als ein kluger Satz. Sie ist ein Aufruf zum Umdenken. Viel zu oft werden Klima- und Sicherheitspolitik getrennt betrachtet. Als würden Solarzellen auf Dächern nichts mit geopolitischer Stabilität zu tun haben. Dabei sind die Zusammenhänge längst offensichtlich.
Putins Problem: Europas grüner Umbau
Seit dem Angriff auf die Ukraine ist klar: Energieabhängigkeit ist ein Sicherheitsrisiko. Wer auf russisches Gas oder Öl angewiesen ist, verliert Handlungsspielraum. Die EU hat das erkannt – und setzt zunehmend auf Diversifizierung, Energieeffizienz und Erneuerbare.
Dabei geht es nicht nur um Klimaziele, sondern auch um strategische Autonomie. Je unabhängiger Europa von fossilen Energien wird, desto schwieriger wird es für autoritäre Regime, die EU zu erpressen.
Investitionen, die sich doppelt lohnen
Natürlich kostet der Umbau: Windparks, Solaranlagen, neue Speicher – all das muss gebaut und finanziert werden. Aber: Die Rendite ist enorm. Nicht nur in Form von Klimaschutz, sondern auch in geopolitischer Schlagkraft.
Denn während Russland mit schrumpfenden Einnahmen kämpft, kann Europa durch niedrigere Importausgaben seine Verteidigungsfähigkeiten stärken – ohne dafür neue Schulden machen zu müssen.
Und jetzt? Mut zur Integration
Die EU steht an einem Wendepunkt. Es geht nicht mehr nur darum, die Emissionen zu senken. Es geht darum, den Green Deal als echten geopolitischen Hebel zu begreifen.
Das heißt: Klimapolitik darf nicht länger nur in Umweltministerien gemacht werden. Sie gehört in die Außenpolitik. In die Sicherheitspolitik. In die Wirtschaftsstrategie. Kurz: Sie gehört ins Zentrum der europäischen Zukunftsgestaltung.
Weniger Öl, mehr Stabilität
Diese Studie zeigt, was lange gefehlt hat: harte Zahlen für ein oft weich argumentiertes Thema. Eine ambitionierte Klimapolitik bringt nicht nur ökologische Vorteile. Sie stabilisiert Europas Nachbarschaft, entzieht autoritären Regimen finanzielle Macht – und macht uns alle ein Stück sicherer.
Also: Wer heute aufs Tempolimit schimpft, sollte vielleicht überlegen, wie viel Geld damit Putins Kriegskasse entgeht.
Andreas M. B.