Al Gore kennt die Macht. Acht Jahre lang war er Vizepräsident der USA. Doch was er in den letzten Wochen und Monaten beobachtet hat, lässt ihn fassungslos zurück – und verändert seinen Kurs. Denn Gore verlässt zunehmend die amerikanische Bühne, um sich international für das Klima starkzumachen.
Warum dieser Schritt? Und was bedeutet das für den globalen Klimaschutz?
Wenn die Demokratie wankt
Gore beobachtet mit wachsender Sorge, wie unter der Trump-Regierung klimapolitische Errungenschaften zerfallen. Umweltgesetze werden zurückgedreht, Fördergelder gestrichen, ganze Behörden – wie die Umweltbehörde EPA – werden in ihrer Mission umgepolt. Der ehemalige Vizepräsident spricht davon, dass Trump „durch rote Linien und Verfassungsbarrieren brettert“, wie es kein Präsident vor ihm getan hat.
Doch am meisten beunruhigt ihn der Versuch, die Macht des Kongresses auszuhebeln. Trump friert bewilligte Mittel für die Energiewende ein, obwohl sie gesetzlich abgesegnet sind. Artikel I der US-Verfassung – eigentlich glasklar: Das Haushaltsrecht liegt beim Kongress, nicht beim Präsidenten.
Gore ist überzeugt, dass die Gerichte eingreifen werden. Die Demokratie sei robuster, als viele glauben. Trotzdem: Der Schaden ist da. Die politische Führung der USA im Klimaschutz – futsch.
Global denken, global handeln
Und genau deshalb verlagert Gore seinen Schwerpunkt. Statt auf die USA zu setzen, geht er nun dorthin, wo er mehr Wirkung erwartet. Seine Organisation, das Climate Reality Project, tourt seit Kurzem durch die Welt – Paris, Rio, Nairobi, Ulaanbaatar. Klingt wie ein Backpacker-Trip, ist aber knallharte Aufklärung: Menschen mobilisieren, ausbilden, ihnen die Werkzeuge geben, selbst aktiv zu werden.
In seinen Vorträgen bringt Gore verschiedenste Gruppen zusammen – Jugendliche, Aktivistinnen, Wissenschaftler, Lehrkräfte. Das Ziel: eine kritische Masse schaffen, die genug Druck auf Politik und Wirtschaft ausübt, damit diese endlich handeln.
Gore formuliert es so: „Grassroots pressure“, also Druck von unten, sei entscheidend – gerade jetzt, wo die USA als Vorbild ausfallen.
Paris – nicht nur wegen der Croissants
Der Startschuss für die globale Tour fiel in Paris. Kein Zufall: Vor genau zehn Jahren wurde dort das Pariser Klimaabkommen beschlossen. Die berühmte Zwei-Grad-Grenze – eine Art letzter Halt vor der Klimakatastrophe. Und heute?
Die Realität sieht düster aus. Die Durchschnittstemperaturen sind seit über einem Jahr auf Rekordniveau, Prognosen sprechen von bis zu drei Grad Erwärmung. Drei Grad! Wer bei zwei schon schluckt, der ahnt, was das bedeutet: brennende Wälder, steigende Meere, kollabierende Ernten – und das weltweit.
Morgan Stanley hat kürzlich seine Investoren gewarnt: Stellt euch besser auf eine schwierige Zukunft ein. Klingt nicht gerade nach einem Mutmacher.
Hoffnung trotz allem
Und doch – Gore bleibt optimistisch. Auch wenn Trump Umweltvorschriften abbaut und Förderprogramme zerschlägt: Der Ausbau von Solarenergie in den USA hat sich seit seiner ersten Amtszeit verdoppelt, die Emissionen sind sogar gesunken, Kohle ist weiter auf dem Rückzug. Der Trend zu erneuerbarer Energie? Unaufhaltbar.
„Hat er manches verlangsamt? Ja klar“, sagt Gore. „Aber wird das alles gestoppt? Keine Chance. Es ist unausweichlich.“
Ist das naiv – oder einfach nur notwendig, um weiterzumachen?
Eine Welt, viele Realitäten
In vielen Ländern wächst die Klima-Bewegung, während sie in den USA mit juristischen Tiefschlägen und politischem Rückschritt kämpft. Ein drastisches Beispiel: das jüngste Urteil gegen Greenpeace USA, das deren Arbeit massiv gefährdet. Währenddessen gehen in Kenia, Brasilien oder der Mongolei junge Menschen auf die Straße, entwickeln Ideen, gründen Initiativen.
Gore will diese Energie nutzen – und verstärken. Seine Organisation arbeitet inzwischen in über 150 Ländern, von Kanada bis Südafrika. Und überall gilt derselbe Ansatz: Informieren. Vernetzen. Handeln.
Klimaschutz braucht Gerechtigkeit
Ein Aspekt zieht sich wie ein roter Faden durch Gores Engagement: Klimagerechtigkeit. Die Klimakrise trifft nicht alle gleich – sie verschärft bestehende Ungleichheiten. Wer wenig hat, leidet zuerst und am stärksten. Deshalb muss jede Lösung sozial gedacht sein. Energiezugang für alle, Unterstützung für betroffene Regionen, faire Beteiligung an Entscheidungen.
Was bringt ein Solardach in Kalifornien, wenn in Bangladesch Menschen ihre Heimat verlieren?
Wissen, das verbindet
Die Komplexität der Klimakrise verlangt nach einem neuen Miteinander. Al Gore setzt sich ein für interdisziplinäre Zusammenarbeit: Klimaforschung trifft Ökonomie, Ingenieurskunst trifft Sozialwissenschaft, Aktivismus trifft Politik. Nur so entstehen Lösungen, die robust und gerecht sind.
Denn klar ist: Mit Klimaschutz allein ist es nicht getan. Es geht auch um Anpassung – und um Widerstandsfähigkeit.
Persönlich, politisch, global
Man spürt, dass Gore nicht nur als Politiker spricht, sondern als Mensch. Da ist Frust, ja – aber auch ein unerschütterlicher Glaube daran, dass Veränderung möglich ist. Dass Wissen Macht bedeutet. Und dass jeder Mensch zählen kann.
Sein globales Engagement zeigt: Der Klimaschutz lebt nicht nur von Regierungen – er lebt von Menschen, die sich kümmern, die fragen, die handeln.
Und jetzt mal ehrlich: Wenn nicht wir – wer dann?
Von Andreas M. Brucker