Als sich im Sommer 2021 das Tief „Bernd“ über einem Teil Mitteleuropas festsetzte, wurden die Gefahren von Starkregenereignissen in Form von Überschwemmungskatastrophen dramatisch deutlich. Wetteraufzeichnungen zeigen, dass extreme Naturereignisse wie Trockenheit, aber auch Starkregen und Hagelstürme durch den Klimawandel in diesem Teil der Welt noch häufiger auftreten werden. Und ihre Folgen könnten noch verheerender werden. Hagelkörner zum Beispiel können Schäden an Kulturen, Fahrzeugen und Gebäuden verursachen und auch für ungeschützte Menschen und Tiere gefährlich sein. Umso wichtiger ist es, dass die Wettermodelle in der Lage sind, die Möglichkeit und das Ausmaß solcher Niederschläge möglichst genau vorherzusagen. Dazu müssen die numerischen Wettermodelle auf genau formulierten mathematischen Interpretationen der physikalischen Prozesse in Wolken beruhen.
Der weltweit einmalige Vertikalwindkanal der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) liefert dazu wichtige Erkenntnisse durch neue Experimente mit künstlichen Hagelkörnern aus dem 3D-Drucker. „Eine unserer bisherigen Erkenntnisse ist, dass die Form des Hagelkorns seine Geschwindigkeit vor dem Aufprall bestimmt“, erklärt Dr. Miklós Szakáll vom Institut für Physik der Atmosphäre (IPA) der JGU. Szakálls Team konnte nachweisen, dass gelappte Hagelkörner weniger kinetische Energie und damit ein geringeres Zerstörungspotenzial entwickeln als Hagel mit glatter Oberfläche.
Hagel und Graupel, die Bezeichnung für ausgefallene kleine, weiche Eispellets, entstehen, wenn Wassertröpfchen in Gewitterwolken gefrieren. Dieser Gefrierprozess wird durch Turbulenzen und komplexe physikalische Prozesse in diesen Wolken begünstigt, die bis in große Höhen reichen können. Diese Eispartikel schmelzen, wenn sie auf dem Weg nach unten wärmere Luftschichten durchqueren. Das Ergebnis sind große, kalte Regentropfen, die oft die Ursache für extreme Niederschläge sind. Wenn die Eispartikel keine Zeit haben, vollständig zu schmelzen, bevor sie den Boden erreichen, kommen sie in Form von Hagel oder Graupel an.
Experimente mit natürlichen und künstlichen Hagelkörnern
Die Bedingungen im Inneren der Wolken bestimmen die charakteristische Form, Größe und Masse dieser gefrorenen Tröpfchen. „In unseren Experimenten mit natürlichen Hagelkörnern haben wir gesehen, dass sie zu Regentropfen schmelzen, die einen Durchmesser von mehreren Millimetern haben können. Große Hagelkörner können während des Schmelzvorgangs auch platzen und zahlreiche kleine Wassertröpfchen bilden“, so Szakáll weiter. Aus den aufgezeichneten Messungen konnte sein Team Parameter extrapolieren, die sie als Hauptelemente für die numerische Simulation von Wolken und Niederschlag in Computermodellen verwenden konnten.
Das Mainzer Forscherteam stellte im Labor Hagelkörner und Graupelpartikel aus gefrorenem Wasser her. Unter realistischen Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen schauten die Forscher genau hin, wie diese im vertikalen Windkanal fielen oder schmolzen. Außerdem stellten sie mit einem 3D-Drucker künstliche Hagel- und Graupelkugeln her, die ihren natürlichen Vorbildern nachempfunden waren – sogar die Materialdichte entsprach der von Eis. Mit diesen konnten sie die Freifalleigenschaften der herabfallenden Objekte messen, die für die mikrophysikalischen Prozesse bei extremen Niederschlagsereignissen besonders relevant sind.
Die Hagel- und Graupelkugeln schwebten frei in einer künstlich erzeugten vertikalen Luftströmung im sechs Meter hohen Windkanal. Ihr Verhalten wurde mit Hochgeschwindigkeits- und Infrarotkameras sowie einem speziell entwickelten holografischen Abbildungssystem aufgezeichnet.
„Wenn wir die Erkenntnisse über mikrophysikalische Aspekte des Niederschlags, die wir mit diesen Experimenten gewonnen haben, auf Modelle zur Analyse von Gewitterwolken anwenden, können wir deren Verhalten besser vorhersagen“, erklärt Professor Stephan Borrmann vom IPA und Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie. „Dies ist besonders wichtig, da extreme Wetterereignisse wie Dürren und Starkregenfälle aufgrund des Klimawandels auch in unseren Breiten wahrscheinlich zunehmen werden“, betont Borrmann.
Die Experimente in Mainz wurden im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts HydroCOMET durchgeführt. Die Ergebnisse sind in fünf begutachteten Fachzeitschriften und als Buchbeitrag veröffentlicht worden.
Die Gutachter, die die HydroCOMET-Ergebnisse begutachteten, bewerteten die in Mainz durchgeführten Laborexperimente und die damit verbundenen Veröffentlichungen sehr positiv. Sie betonten insbesondere die wichtige Rolle der vorhandenen Infrastruktur, d.h. des vertikalen Windkanals.
Datum: März 25, 2022
Quelle: Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Journal Reference:
- Karoline Diehl, Florian Zanger, Miklós Szakáll, Andrew Heymsfield, Stephan Borrmann. Vertical wind tunnel experiments and a theoretical study on the microphysics of melting low-density graupel. Journal of the Atmospheric Sciences, 2021; DOI: 10.1175/JAS-D-21-0162.1