Wer bei Wolkenbildung nur an Wasserdampf denkt, liegt daneben – oder besser gesagt: in der Vergangenheit. In den Höhenlagen unserer Atmosphäre tanzen Billionen von winzigen Partikeln. Viele davon sind nicht mineralischen Ursprungs, sondern leben(dig) oder waren es einst. Klingt verrückt? Ist aber wissenschaftlich belegt.
Willkommen in der faszinierenden Welt der Bioaerosole.
Wenn Pilzsporen zu Regenmachern werden
Die Atmosphäre ist kein leerer Raum – sie ist ein brodelnder Cocktail aus Gasmolekülen, Staub, Industrieabgasen und: biologischen Mikroteilchen. Dazu zählen unter anderem Pollen, Bakterien, Pilzsporen oder Pflanzenteile. Und genau diese Partikel übernehmen eine überraschend zentrale Rolle bei der Bildung von Niederschlag.
Wie das funktioniert? Ganz einfach – wenn man ein bisschen Chemie versteht. Damit sich Regen oder Schnee bilden kann, braucht es sogenannte Eiskeime. Diese Keime wirken wie kleine „Kristallstarter“, an denen sich Wassermoleküle sammeln, gefrieren und zu Schneeflocken oder Regentropfen werden. Biologische Partikel sind dabei echte Profis – ihre molekulare Oberfläche ist geradezu prädestiniert dafür, Eiskristalle wachsen zu lassen.
Klimawandel – Dünger für Bioaerosole?
Ein Team der École Polytechnique Fédérale de Lausanne hat kürzlich gezeigt: Mit steigenden Temperaturen erhöht sich auch die Konzentration dieser biologischen Partikel in der Atmosphäre. Warum? Weil warme Bedingungen Mikroorganismen und Pflanzen anregen, mehr davon freizusetzen – sei es durch Pollenflug, Bodenerosion oder mikrobiellen Zerfall.
Die Folge? Mehr Eiskeime – mehr Niederschlag. Klingt gut? Nicht unbedingt. Denn das bedeutet auch: Heftiger Regen, mehr Überschwemmungen, intensivere Schneestürme. Gerade in einem sich erwärmenden Klima kann dieser Mechanismus zu einem unberechenbaren Verstärker werden.
Der doppelte Kreislauf
Und jetzt wird’s noch verrückter: Regen selbst kann die Zahl dieser biologischen Partikel erhöhen. Einige Studien zeigen, dass nach starken Niederschlägen mehr Pollen und Sporen in die Luft gelangen – etwa durch Spritzwasser, Luftverwirbelung oder chemische Prozesse. Ein Teufelskreis?
Man stelle sich vor: Es regnet heftig – danach steigen noch mehr biologische Eiskeime auf – was dann wieder zu neuen Regenfällen führt. Ob das flächendeckend funktioniert? Noch nicht ganz erforscht. Aber erste Indizien sind da – und sie sollten uns aufhorchen lassen.
Modellversagen mit Ansage
Und genau hier liegt ein großes Problem. Wetter- und Klimamodelle, wie sie weltweit zur Vorhersage genutzt werden, ignorieren diesen biologischen Faktor größtenteils. Kein Wunder, sie wurden ursprünglich entwickelt, um Temperatur, Druck, Wind und Feuchtigkeit zu modellieren – aber eben nicht das biologische „Mikroleben“ in der Luft.
Doch ohne diese Komponente könnten die Modelle systematisch unterschätzen, wie schnell, heftig und häufig sich extreme Wetterereignisse entwickeln. Gerade in der Klimakrise ist das eine gefährliche Lücke. Es ist, als würde man ein Orchester analysieren, aber die Streicher komplett weglassen – man versteht den Klang, aber eben nur halb.
Was heißt das für uns?
Zwei Dinge sind glasklar:
- Biologische Partikel beeinflussen das Klima mehr, als wir bisher dachten.
- Sie müssen in zukünftige Modelle einbezogen werden – sofort.
Nicht nur, um präziser vorherzusagen, wann es wo regnet. Sondern auch, um frühzeitig auf extreme Wetterlagen zu reagieren – oder sie gar zu verhindern.
Denn eines ist sicher: Wenn Bioaerosole mit dem Klima tanzen, kann daraus ein wilder Sturm werden.
Und zum Schluss…
Hast du schon mal beim Waldspaziergang tief eingeatmet und gedacht: „Da liegt etwas in der Luft“? Vielleicht war das mehr als nur ein Gefühl. Vielleicht warst du Zeuge eines Prozesses, der irgendwo in der Atmosphäre später einen Schneesturm auslöst.
Klingt unglaublich? Tja, das Leben schreibt eben die komplexesten Geschichten. Auch dort, wo man sie nicht erwartet – in der unsichtbaren Welt über unseren Köpfen.
Autor: Andreas M. Brucker

