„Die Leute glauben, dass Wasser in der Schweiz eine unbegrenzte Ressource ist“, sagt Adrien Michel, der kürzlich sein Doktorat in Umweltwissenschaften und -technik an der EPFL abgeschlossen hat. „Aber am Ende dieses Jahrhunderts müssen wir uns vielleicht entscheiden, ob wir unsere Flüsse für die Bewässerung unserer Felder oder für die Stromerzeugung aufstauen wollen. Michel hat seine Doktorarbeit am Labor für Kryosphärenwissenschaften (CRYOS) der Fakultät für Architektur, Bau- und Umweltingenieurwesen der EPFL durchgeführt. Nach einer retrospektiven Studie über die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die Schweizer Flüsse hat Michel nun eine zukunftsorientierte Studie zum selben Thema in der Zeitschrift Hydrology and Earth System Sciences veröffentlicht.
Drei Szenarien
Die Forschung von Michel zeigt drei mögliche Szenarien auf, die davon abhängen, ob die Treibhausgasemissionen niedrig, moderat oder hoch sind. Im extremsten Szenario, bei dem keine Maßnahmen ergriffen werden, ist mit einem Anstieg der sommerlichen Flusstemperaturen um 5,5°C in den Alpenregionen und um 4°C in den Einzugsgebieten des Schweizer Mittellandes zu rechnen. Gleichzeitig könnte der durchschnittliche Abfluss der Flüsse in den Bergen um 30 % und im Flachland um 25 % zurückgehen. Werden dagegen die CO2-Emissionen entsprechend dem Pariser Klimaabkommen reduziert, wären die Flüsse in den Alpen und im Schweizer Mittelland am Ende des Jahrhunderts nur um 1°C wärmer, und der Abfluss würde in den Einzugsgebieten der Berge um 5% sinken, während er im Tiefland nahezu unverändert bliebe. Im Niedrigemissionsszenario bliebe fast die Hälfte aller verbleibenden Gletscher erhalten, wobei sich der Rückgang um 2050 abflachen würde, während sie im Hochemissionsszenario so gut wie verschwinden würden.
Die Extreme werden verschärft
Die Studie zeigt auch, dass die Winter- und Sommerextreme in den Plateauregionen bei allen drei Szenarien zunehmen werden. Im Winter werden vermehrte Niederschläge zu höheren Abflüssen führen. Im Sommer werden sporadischere Niederschläge zusammen mit höheren Verdunstungsraten aufgrund steigender Temperaturen zu einem Rückgang des Abflusses führen. Michel stützte sich auf Klimaprojektionen von MeteoSchweiz und Gletscherschmelzdaten der ETH Zürich, um die Schnee- und Abflussmengen sowie die Flusstemperaturen zu modellieren.
„Wir werden in diesem Teil der Welt sicherlich noch Orangen anbauen können“, sagt Michel. „Aber was ist mit dem Rest der Artenvielfalt?“ Diese Studie basiert natürlich auf dem heutigen Stand der Dinge, während vieles über das Ende des Jahrhunderts noch unbekannt ist. Was wird mit dem Agrar- und Energiesektor geschehen? Und mit der Flora und Fauna in den Flüssen, da die steigenden Temperaturen die Fortpflanzung behindern und die Gefahr von Fischkrankheiten erhöhen? Wie werden wir eine ausreichende Stromproduktion sicherstellen, wenn der Abfluss drastisch zurückgeht? Und wenn die Schweiz beschließt, neue Kernkraftwerke oder andere Industrieanlagen zu bauen, wie werden wir sie kühl halten?
Wir müssen jetzt handeln
Anstatt sich mit Fragen über die Zukunft zu beschäftigen, fordert Michel, jetzt zu handeln: „Unsere Studie über den Abfluss der Flüsse und die Temperaturen zeigt zum einen, dass die Auswirkungen der globalen Erwärmung unausweichlich sind und dass wir schon heute damit beginnen müssen, Änderungen vorzunehmen, zum Beispiel in der Energie- und Landwirtschaftspolitik. Sie zeigt uns auch, dass wir noch einen Teil unseres ökologischen Erbes retten können – aber nur, wenn wir schnell und entschlossen handeln.“
Datum: February 25, 2022
Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne
Journal Reference:
- Adrien Michel, Bettina Schaefli, Nander Wever, Harry Zekollari, Michael Lehning, Hendrik Huwald. Future water temperature of rivers in Switzerland under climate change investigated with physics-based models. Hydrology and Earth System Sciences, 2022; 26 (4): 1063 DOI: 10.5194/hess-26-1063-2022