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Das klingt erstmal komplett schräg: Während der Planet vielerorts zu kochen scheint, kühlt sich ausgerechnet der Südliche Ozean ab. Genau – dort, wo eigentlich Gletscher schmelzen, regnet’s mehr als früher und die Temperaturen in den oberen Wasserschichten fallen. Wie passt das zusammen? Und was heißt das für uns?

Tauchen wir ein in diese paradoxe Welt zwischen Eis, Ozean und globalem Klimachaos.


Süßwasserflut auf salzigem Grund

Man stelle sich ein gigantisches Glas Wasser mit Eiswürfeln vor. Die Eiswürfel schmelzen – logisch – aber anstatt das Wasser zu erwärmen, schwimmt oben eine dünne Schicht eiskalten Wassers. Genauso läuft’s gerade im Südlichen Ozean.

Das Schmelzen der antarktischen Eismassen bringt riesige Mengen an kaltem Süßwasser ins Spiel. Dieses Wasser ist leichter als das salzige Meerwasser – und bleibt deshalb oben. Klingt erstmal harmlos? Ist es nicht. Denn diese Schicht blockt den Wärmeaustausch zwischen Atmosphäre und Ozeaninnerem fast wie ein Deckel. Die Folge: Die oberen Wasserschichten bleiben kühl, die Durchmischung mit tieferem Wasser wird gehemmt.

Ein besonders gutes Beispiel ist die Amundsen-See westlich der Antarktischen Halbinsel – dort fließt mittlerweile so viel Schmelzwasser ins Meer, dass die obere Ozeanschicht merklich weniger salzig ist als noch vor wenigen Jahrzehnten.


Regen, Regen – und nochmal Regen

Und als wäre das noch nicht genug, kommt der Himmel auch noch mit ins Spiel. Durch den Klimawandel verdunstet weltweit mehr Wasser – und was verdunstet, kommt auch irgendwann runter. Im Südlichen Ozean bedeutet das: mehr Niederschlag. Genauer gesagt: mehr Regen, weniger Schnee.

Dieser zusätzliche Eintrag von Süßwasser verstärkt den Schichteffekt noch weiter. Die Mischung aus Schmelzwasser und Regen bildet eine stabile, kühle Decke auf dem Ozean. Und diese Decke sorgt dafür, dass CO₂ nicht mehr so effizient aus der Atmosphäre aufgenommen werden kann.

Und hier kommt der eigentliche Hammer: Der Südliche Ozean gilt als eine der wichtigsten Senken für atmosphärisches CO₂ weltweit.


Was bedeutet das für’s Klima?

Na, was passiert wohl, wenn der Planet auf seine natürliche „CO₂-Filteranlage“ verzichten muss?

Genau – die Atmosphäre wird noch voller. Weniger CO₂ wird gespeichert, mehr bleibt in der Luft. Das heizt den Klimawandel weiter an. Ein Teufelskreis mit ordentlich Zündstoff.

Und nicht nur das: Die veränderte Schichtung beeinflusst die berühmte Antarktische Zirkumpolarströmung – quasi das Rückgrat der globalen Ozeanzirkulation. Studien zeigen, dass diese Strömung bis 2050 um bis zu 20 Prozent an Kraft verlieren könnte, wenn wir mit den Emissionen weitermachen wie bisher.

Diese Strömung hält aber nicht nur das Klima im Südpazifik stabil – sie beeinflusst auch Wetter und Temperaturmuster in Australien, Südamerika und sogar in Europa. Verrückt, oder?


Kollapsgefahr am Südpol

Jetzt wird’s ernst. In der Ostantarktis – also auf der anderen Seite der Welt von uns aus gesehen – liegen die riesigen Eisbecken von Wilkes und Aurora. Sollte sich die Erwärmung ungebremst fortsetzen, könnten diese Eisreservoirs instabil werden. Und wenn sie kollabieren, würde das den Meeresspiegel langfristig um mehrere Meter steigen lassen.

Mehrere Meter. Nicht Zentimeter. Nicht irgendwann in 1000 Jahren – sondern möglicherweise innerhalb der nächsten Jahrhunderte.


Was lernen wir daraus?

Der Südliche Ozean zeigt uns eindrucksvoll, wie komplex und miteinander verknüpft die Prozesse des Klimasystems sind. Wer hätte gedacht, dass mehr Regen und schmelzendes Eis eine Region kühlen – während gleichzeitig das globale Klima weiter aufheizt?

Doch genau hier liegt die Crux: Diese regionale Abkühlung bedeutet nicht Entwarnung. Im Gegenteil. Sie signalisiert tiefgreifende Veränderungen in einem der sensibelsten Klimabereiche der Erde. Und wenn das Gleichgewicht dort kippt, zieht es den Rest der Welt mit.

Warum ist das so schwer zu vermitteln? Vielleicht, weil unser Gehirn nicht dafür gemacht ist, solche vernetzten Prozesse intuitiv zu verstehen. Oder weil es bequemer ist, die Augen zu schließen, als den Tatsachen ins Gesicht zu schauen.

Aber: Noch ist nicht alles verloren.


Wissen als Waffe gegen das Klima-Chaos

Dank neuer Satellitentechnik, verbesserten Klimamodellen und riesigen Mengen an Ozeandaten können Wissenschaftler diese Entwicklungen heute so präzise wie nie zuvor verfolgen. Das ist unsere Chance: Je besser wir verstehen, was im Südlichen Ozean passiert, desto gezielter können wir gegensteuern.

Und ja, das wird nicht ohne internationale Zusammenarbeit gehen. Wir brauchen die Physik, die Biologie, die Ozeanografie – und vor allem eine Politik, die bereit ist, endlich zuzuhören.


Und was jetzt?

Wir sollten uns fragen: Wollen wir wirklich zusehen, wie ein ganzer Ozean seine Rolle im Klimasystem verliert? Oder packen wir es endlich an?

Eines ist klar: Die Geschichte des Südlichen Ozeans ist kein Randphänomen. Sie betrifft uns alle – egal ob in Berlin, Buenos Aires oder Bangkok. Und sie zeigt, wie schnell aus scheinbar kleinen Veränderungen globale Risiken werden.

Aber wo Gefahr ist, wächst auch das Rettende. Wir haben das Wissen, die Technologie – und eigentlich auch den Willen.

Bleibt nur die Frage: Warten wir noch, oder handeln wir endlich?

Von Andreas M. Brucker


Quellen:

  • Rintoul, S. R. et al. (2023): „Ocean heat storage and the Southern Ocean freshening“, Nature Climate Change
  • IPCC (2023): Sixth Assessment Report
  • Swart, S. et al. (2024): „Precipitation patterns and stratification in the Southern Ocean“, Geophysical Research Letters
  • Shepherd, A. et al. (2023): „Antarctic ice loss and sea-level rise“, Nature Communications