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Wer an Hawaii denkt, sieht wahrscheinlich Palmen, türkisblaues Meer und endlose Sandstrände vor sich. Doch unter dieser paradiesischen Oberfläche brodelt ein unerwartetes Problem: Teile der Inselgruppe sinken. Und zwar nicht ein bisschen – sondern bis zu 40 Mal schneller als der Durchschnitt. Was bedeutet das für den Kampf gegen die Klimakrise und den Küstenschutz?


Der Boden unter den Füßen gibt nach

Ein Meter über dem Meeresspiegel klingt vielleicht hoch genug. Doch wenn der Boden Jahr für Jahr absackt, wird selbst dieser Meter zur bröckelnden Sicherheit. Genau das passiert derzeit in bestimmten Gegenden Oʻahus – vor allem entlang der dicht bebauten Südküste.

Statt der üblichen 0,6 Millimeter pro Jahr sackt der Boden in Teilen von Mapunapuna um über 25 Millimeter jährlich ab. Das entspricht in etwa der Dicke einer Streichholzschachtel – jedes einzelne Jahr. Der Grund? Eine Mischung aus natürlicher tektonischer Bewegung und menschengemachter Bodenaufschüttung, die mit der Zeit nachgibt. Diese künstlichen Füllungen, oft aus lockerem Material, setzen sich schneller, als es der Planung lieb ist.

Klingt technisch? Ist aber hochpolitisch.

Denn mit jedem weiteren Millimeter rückt das Meer näher an Häuser, Straßen und Lebensgrundlagen heran – Jahrzehnte früher als prognostiziert.


2050 ist das neue 2100

Was ursprünglich für das Jahr 2100 befürchtet wurde, könnte in manchen Stadtteilen schon 2050 Realität sein. Mehr als 50 % mehr Überflutungsfläche – in gerade einmal einem Vierteljahrhundert. Das verändert alles.

Stell dir vor, du planst eine neue Straße oder ein Wohngebiet und gehst davon aus, dass du dafür 70 Jahre Puffer hast. Plötzlich schrumpft dieser Zeitraum auf die Hälfte. Die Realität hat einen Sprint eingelegt – und wir hinken hinterher.

Phil Thompson vom UH Sea Level Center bringt es auf den Punkt: Wenn die Absenkung des Bodens ignoriert wird, laufen alle Schutzmaßnahmen Gefahr, am Ziel vorbeizuschlittern.


Wer zahlt den Preis?

Hier wird es ungemütlich. Denn betroffen ist nicht nur eine leerstehende Industriebrache, sondern das wirtschaftliche und kulturelle Herz der Insel. Oʻahu ist das Zuhause der meisten Hawaiianer:innen, das Zentrum von Tourismus, Transport und Verwaltung.

Die berühmten Strände von Waikīkī, Museen, Tempelanlagen, die Erinnerung an Generationen – all das steht nun auf wackligem Grund. Überflutungen könnten die Lebensadern der Inseln lahmlegen, Häuser unbewohnbar machen, Ökosysteme zerstören.

Und wer leidet zuerst?

Wenig überraschend trifft es vor allem einkommensschwache Gemeinden, deren Häuser oft in niedrig gelegenen, aufgeschütteten Gebieten stehen. Schon heute berichten Anwohner:innen von nassen Kellern, versalzenen Gärten und morschen Fundamenten.

Klimawandel ist eben nicht gerecht. Er trifft nicht alle gleich – und genau deshalb braucht die Antwort darauf soziale Gerechtigkeit als Grundpfeiler.


„Warum hat uns das niemand gesagt?“

Das fragen sich jetzt viele. Die Antwort: Die Datenlage war bislang zu grob. Erst die Kombination aus Satellitenmessungen, hochauflösenden Höhenmodellen und Langzeitbeobachtungen hat dieses Muster sichtbar gemacht. Technologie – so nervig sie manchmal sein kann – ist hier der stille Held der Geschichte.

Ein Beispiel: Das neue digitale Höhenmodell des South Shore Oʻahu zeigt punktgenau, wo die Gefahr am größten ist. Damit lassen sich gezielt Evakuierungspläne entwerfen, neue Infrastruktur höher bauen oder – im Notfall – bestimmte Gebiete aufgeben.

Klar ist: Diese Daten müssen in jede Klimaanpassungsstrategie einfließen. Alles andere wäre, als würde man mit verbundenen Augen durchs Flutwasser waten.


Wie weiter?

Einfach nur zuzusehen, wie der Boden verschwindet, kann keine Option sein. Es braucht jetzt:

  • Einen Paradigmenwechsel im Städtebau: Weniger Beton in Risikogebieten, mehr natürliche Pufferräume.
  • Transparente Kommunikation: Bürger:innen müssen wissen, ob ihr Zuhause gefährdet ist.
  • Forschung & Politik im Schulterschluss: Ohne gegenseitiges Vertrauen versickert jedes Projekt im Sand – im wahrsten Sinne des Wortes.
  • Langfristige Umsiedlungsstrategien: Auch wenn es weh tut – manche Standorte lassen sich nicht retten.

Der Hoffnungsschimmer

Ja, das Bild ist düster. Aber – und das ist kein leeres Versprechen – es gibt Hoffnung.

Denn nie zuvor wussten wir so genau, was auf uns zukommt. Wir kennen die kritischen Hotspots, wir verstehen die Ursachen, wir haben das Werkzeug. Jetzt liegt es an uns, das Wissen in Handeln zu verwandeln.

In der Natur gibt es keine Gnade, aber sehr wohl Resilienz. Und das gilt auch für die hawaiianische Bevölkerung – tief verwurzelt, kämpferisch, voller Aloha.

Ein kluger Kopf hat mal gesagt: „Die Flut hebt alle Boote.“ Die Frage ist nur: Haben wir genug Boote – und steigen wir rechtzeitig ein?

Von Andreas M. Brucker


Quellen: