Was, wenn der Regen von unten kommt? Klingt seltsam, aber genau das legt eine neue Studie nahe – zumindest im übertragenen Sinne. Denn nicht nur die Atmosphäre entscheidet darüber, wie stark ein Sturm wird. Auch der Zustand des Bodens spielt mit – und zwar kräftig.
Eine bahnbrechende Forschung des UK Centre for Ecology & Hydrology (UKCEH) zeigt: Der Feuchtigkeitsgehalt der Erde kann die Heftigkeit von Megastürmen um bis zu 30 Prozent verstärken. Eine Erkenntnis, die alles andere als trocken ist.
Unterschätzter Faktor: Bodenfeuchtigkeit
In der Wettervorhersage schaut man traditionell nach oben – auf Wolken, Druckverhältnisse, Jetstreams. Dabei liegt ein entscheidender Hinweis für die Intensität tropischer Stürme direkt zu unseren Füßen: die Feuchtigkeit des Bodens.
Klingt erstmal unspektakulär. Doch Dr. Emma Barton, Meteorologin am UKCEH, bringt es auf den Punkt: „Diese Sturmsysteme gehören zu den intensivsten Wetterereignissen des Planeten – und sie reagieren empfindlich auf das, was unter ihnen passiert.“
Kleine Unterschiede, große Wirkung
Was genau passiert da? Wenn zwischen zwei Bodenregionen große Unterschiede in der Feuchtigkeit herrschen – etwa über Hunderte von Kilometern –, entstehen Druckunterschiede. Diese wirken sich auf Luftströmungen aus, beeinflussen den Auftrieb und fördern so die Entstehung und Intensivierung von sogenannten mesoskaligen konvektiven Systemen (MCS).
Diese gewaltigen Gewitterkomplexe sind keine regionalen Schauer. Sie können Tausende Kilometer überspannen, bringen sintflutartige Regenfälle, Erdrutsche und Überschwemmungen mit sich – und das in Regionen, in denen rund vier Milliarden Menschen leben.
Die Hotspots – und warum es sie trifft
Betroffen sind vor allem West- und Südafrika, der indische Subkontinent, Teile Südamerikas und Australiens. Genau dort, wo die Verwundbarkeit ohnehin hoch ist – sozial, wirtschaftlich, strukturell.
Viele dieser Regionen kämpfen mit unzureichender Infrastruktur, schlechter Frühwarnung und geringen Ressourcen für Katastrophenschutz. Ein zusätzlicher Regenimpuls, ausgelöst durch kontrastreiche Bodenbedingungen, kann hier verheerend wirken.
Zwei bis fünf Tage Vorsprung – eine Chance
Die Forschenden analysierten 20 Jahre Satellitendaten und fanden heraus: Der Einfluss der Bodenfeuchtigkeit lässt sich bereits zwei bis fünf Tage vor dem eigentlichen Sturm erkennen. Das eröffnet neue Spielräume. Frühwarnsysteme könnten gezielter reagieren, Evakuierungen schneller angestoßen, Maßnahmen zur Wasserableitung rechtzeitig eingeleitet werden.
Klingt nach Science-Fiction? Ist es nicht. Es ist präzise, datenbasierte Wissenschaft – und möglicherweise ein Gamechanger für die Katastrophenvorsorge in sturmgeplagten Regionen.
Der Klimawandel als Verstärker
Ein besonders beunruhigender Punkt: Mit steigenden Temperaturen könnte sich der Feuchtigkeitskontrast auf der Erdoberfläche noch verschärfen. Trockene Böden werden noch trockener, feuchte noch feuchter – genau das, was MCS-Systeme „lieben“. Ein Brandbeschleuniger für Extremwetter.
Dr. Barton bringt es trocken auf den Punkt: „Der Klimawandel gießt Wasser ins Feuer – im wahrsten Sinne des Wortes.“
Und die Wetterfrösche? Müssen umdenken
Noch immer richten sich meteorologische Vorhersagen fast ausschließlich nach atmosphärischen Daten. Dabei ist klar: Wer den Boden vergisst, versteht das Wetter nur zur Hälfte.
Dr. Cornelia Klein, Co-Autorin der Studie, fordert ein Umdenken: „Wir müssen die Wechselwirkungen zwischen Landoberfläche und Atmosphäre viel stärker in unsere Modelle einbeziehen.“
Die Studienergebnisse liefern dafür das Werkzeug – jetzt fehlt der politische Wille, sie flächendeckend anzuwenden.
Können wir uns vorbereiten?
Ja. Aber wir müssen handeln – jetzt.
- Frühwarnsysteme verbessern: Kombination von Satellitendaten und Bodenbeobachtung.
- Landmanagement anpassen: Vermeidung von Überweidung, Entwaldung und schlechter Bewässerung, die den Feuchtigkeitskontrast erhöhen.
- Internationale Kooperation stärken: Besonders zwischen den Ländern des globalen Südens, die oft am stärksten betroffen – aber am wenigsten vorbereitet sind.
Ist das neu?
In gewisser Weise ja. Die Rolle der Bodenfeuchte wurde bisher weit unterschätzt. Klar, dass Pflanzen Wasser brauchen, wusste man. Aber dass trockene Böden mitverantwortlich dafür sind, dass ein tropischer Sturm zur Katastrophe wird – das ist neu.
Und es zeigt: Der Klimawandel ist nicht nur eine Frage von CO₂ in der Luft. Er ist auch eine Frage von Wasser im Boden.
Ein neues Kapitel der Wetterforschung?
Ganz bestimmt. Die Forschenden wollen nun mit Hilfe aktueller Klimamodelle herausfinden, warum die Auswirkungen von Bodenfeuchtigkeit regional so unterschiedlich sind – und welche Rolle andere Faktoren wie Vegetation, Landnutzung oder Topografie spielen.
Denn eines ist sicher: Wenn wir Megastürme besser vorhersagen wollen, müssen wir lernen, den Boden zu lesen. Im wahrsten Sinne.
Von Andreas M. Brucker