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Zentralasien ist eigentlich kein Ort für milde Überraschungen. Entweder ist es klirrend kalt oder brütend heiß – irgendwas dazwischen kennt die Region kaum. Doch was sich im März 2025 abgespielt hat, war alles andere als „typisch“. Die Hitzewelle, die über Länder wie Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan und Turkmenistan hereinbrach, war so früh, so heftig und so flächendeckend, dass sie nicht nur Thermometer zum Glühen brachte, sondern auch Alarmsirenen in Forschungseinrichtungen.

30,8 Grad in Dschalalabat. 29,4 in Namangan. Sogar nachts wurden 18,3 Grad gemessen – in Kasachstan! Man muss das einordnen: Das sind Werte, die eher in den Hochsommer gehören, nicht in den meteorologisch noch frühlingshaften März. Und doch standen sie plötzlich da, schwarz auf weiß, in den Wetterdaten der Region.

Überhitzt und überfordert

Diese frühe Hitzewelle traf auf eine Gesellschaft, die genau das nicht erwartet hatte. Im März fangen viele gerade erst an, ihre Gärten zu bestellen oder Frühlingsgetreide wie Weizen auszusäen. Die Bäume stehen in voller Blüte – vor allem Obstsorten, die für die lokale Wirtschaft von hoher Bedeutung sind. Wenn dann plötzlich der Frühling zum Sommer wird, bringt das ganze Zeitpläne durcheinander.

Nicht nur die Landwirtschaft bekam die Hitze mit voller Wucht zu spüren. Auch der Alltag der Menschen veränderte sich schlagartig: Wer rechnet schon mit 30 Grad im Schatten, wenn er noch den Wintermantel nicht ganz weggeräumt hat?

Was hat der Klimawandel damit zu tun?

Klar ist: Diese Hitzewelle kam nicht aus dem Nichts. Das internationale Team von Klimaforschenden der World Weather Attribution wollte es genauer wissen. Sie analysierten die fünf heißesten Tage und Nächte im betroffenen Zeitraum und verglichen die Werte mit früheren Jahrzehnten. Der Befund ist eindeutig – und auch erschreckend:

Solche Temperaturen wären in einem um 1,3 Grad kühleren Klima – also ohne menschgemachten Klimawandel – extrem unwahrscheinlich gewesen. Heute? Kommen sie alle drei Jahre vor. Und das ist nur die konservative Schätzung, denn aktuelle Klimamodelle bilden die Stärke solcher Frühjahrshitzen nicht mal vollständig ab. Die Realität überholt selbst die Prognosen.

Wenn man die gegenwärtige Erwärmung einfach mal „zurückrechnet“, wäre eine vergleichbare Hitzewelle früher 5 bis 10 Grad kühler gewesen. Das ist kein kleiner Unterschied. Das ist ein ganzer Tagesausflug vom Frühling in die Wüste.

Was bedeutet das für die Region?

Zentralasien steht an einem klimapolitischen Scheideweg. Die Landwirtschaft – Herzstück vieler Volkswirtschaften dort – ist besonders verwundbar. Sie macht nicht nur bis zu einem Viertel des Bruttoinlandsprodukts aus, sondern beschäftigt auch etwa die Hälfte der Bevölkerung. Und wenn Menschen im Freien bei 30 Grad im März arbeiten müssen, sinkt ihre körperliche Leistungsfähigkeit rapide. Schon 2023 gingen allein in Usbekistan über 230 Millionen Arbeitsstunden wegen extremer Hitze verloren. Eine Zahl, die jetzt wohl noch übertroffen wird.

Hinzu kommt die Wasserproblematik. Die Region hängt stark an den Gletschern des Tianshan- und Pamir-Gebirges. Diese liefern im Sommer das dringend benötigte Wasser für Felder und Haushalte. Doch durch die frühzeitige Schneeschmelze verschiebt sich die Verfügbarkeit. Wenn das Wasser kommt, ist es zu früh – wenn man es bräuchte, ist es schon weg.

Und jetzt? Anpassung oder Aussitzen?

Einige Länder der Region haben bereits Anpassungsstrategien entwickelt. Kasachstan und Tadschikistan integrieren Klimaanpassung in ihre nationalen Pläne. Frühwarnsysteme, hitzeresistente Sorten, neue Anbaukalender – all das klingt sinnvoll und notwendig.

Aber hier zeigt sich eine alte Geschichte: Die Ungleichheit. Kleine Betriebe und Kleinbauern haben selten die Mittel, um auf moderne Techniken umzusteigen. Für sie sind staatliche Programme oft schwer zugänglich – wenn sie überhaupt existieren. Und gerade sie leiden am stärksten unter den klimatischen Veränderungen.

Also – wie kommt man aus der Nummer raus?

Mehr als nur neue Sorten

Anpassung muss auf vielen Ebenen passieren. Es reicht nicht, einfach andere Samen zu streuen. Menschen brauchen Informationen – was hilft bei Hitzeerschöpfung? Wie schützt man sich? Städte brauchen grüne Oasen, kühlende Parks, gut durchdachte Stadtplanung. Gesundheitssysteme müssen auf Hitzeschocks vorbereitet sein, genauso wie auf Infektionskrankheiten, die mit dem Klimawandel zunehmen.

Auch das soziale Netz muss mitziehen: Renten, Sozialhilfe, Arbeitsrechte – all das beeinflusst, wie gut Menschen sich schützen oder erholen können.

Und ja – am Ende ist es eine politische Frage: Wollen wir weiter „reagieren“, oder fangen wir endlich an, vorausschauend zu handeln?

Ein Blick in die Zukunft – oder in den Abgrund?

Wenn sich die Erde um 2,6 Grad weiter erwärmt – ein Szenario, das realistischer ist, als viele denken – verdoppelt sich die Wahrscheinlichkeit solcher Ereignisse. Die Temperaturen steigen dann zusätzlich um etwa 2 Grad. Klingt nach wenig? Denk nochmal darüber nach…

In dieser Welt wären solche März-Hitzewellen fast schon normal. Und das ist ein Wort, das wir eigentlich nur ungern mit „Klimakatastrophe“ kombinieren möchten.

Was mich persönlich wütend macht

Ich hab das Gefühl, wir haben es längst begriffen und wissen eigentlich, was zu tun ist – aber immer noch kein Rückgrat, es auch durchzuziehen. Wir wissen, was passiert. Wir sehen die Zahlen, die Felder, die Hitzerekorde. Aber statt entschlossen zu handeln, reden wir uns ein, dass Anpassung irgendwie reichen wird.

Wird sie das?

Oder brauchen wir nicht endlich auch eine Wende bei den Emissionen, beim Konsum, bei unserer globalen Verantwortung?

Trotz allem: Es gibt Hoffnung

Denn das Wissen ist da. Die Technologien auch. Und in vielen Teilen der Welt – selbst in Zentralasien – gibt es Menschen, die sich wehren, anpassen, anpacken. Was sie brauchen, ist Unterstützung. Kein Mitleid, kein Zögern. Sondern ehrliche Zusammenarbeit, solidarische Politik und endlich den Mut zur Veränderung.

Denn wenn selbst der Frühling zu kochen beginnt, wird es höchste Zeit, umzudenken.

Von Andreas M. Brucker

Quelle: https://www.worldweatherattribution.org/extraordinary-march-heatwave-in-central-asia-up-to-10-c-hotter-in-a-warming-climate/