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Ein Donner grollt, Palmen biegen sich im Wind, Dächer fliegen davon. Und mittendrin ein unsichtbares Opfer – die Bildung. Wer denkt bei einem tropischen Wirbelsturm schon zuerst an ein Klassenzimmer? Dabei sind es genau diese Orte des Lernens, die besonders oft unter den Folgen extremer Wetterereignisse leiden. Und das, was sie verlieren, wiegt schwer: Chancen, Zukunft, Gerechtigkeit.

Die stille Krise im Auge des Sturms

Eine frische Studie der Stanford University, erschienen im April 2025, bringt es auf den Punkt: Tropische Zyklone haben nicht nur Häuser zerstört – sie rauben Kindern ihre Schulbildung. Über 5,4 Millionen Lebensläufe aus 13 Ländern wurden analysiert. Die Ergebnisse? Verstörend.

Kinder, die im zarten Vorschulalter mit einem tropischen Wirbelsturm konfrontiert waren, begannen mit 2,5 % geringerer Wahrscheinlichkeit die Grundschule. Das klingt zunächst gering – doch in selten betroffenen Regionen, wo es keine regelmäßigen Notfallpläne gibt, schnellt dieser Wert auf fast 9 % hoch. Anders gesagt: Jedes zehnte Kind geht nie zur Schule, nur weil der Sturm zur falschen Zeit kam.

Noch eindrücklicher ist die Gesamtzahl: Über 79.000 Kinder haben durch Wirbelstürme in den letzten zwei Jahrzehnten nie eine Schule von innen gesehen. 1,1 Millionen Schuljahre gingen verloren – still und leise, ohne große Aufschreie in den Medien.

Warum Mädchen doppelt verlieren

Und wie so oft trifft es nicht alle gleich. Mädchen stehen besonders oft auf der Verliererseite. Warum? Weil sie nach Katastrophen häufiger zu Hause gebraucht werden – um sich um Geschwister zu kümmern, Wasser zu holen oder Haushaltsaufgaben zu übernehmen. In vielen Kulturen, in denen Bildung für Mädchen ohnehin weniger Priorität hat, zementieren Naturkatastrophen bestehende Ungleichheiten.

Eine einfache Frage, die weh tut: Wie soll ein Mädchen ihre Träume verwirklichen, wenn es nicht mal lesen und schreiben lernen darf?

Klimawandel – der Verstärker des Unrechts

Die Welt wird wärmer. Tropische Wirbelstürme werden heftiger, häufiger, unberechenbarer. Und mit jedem neuen Sturm wächst die Unsicherheit in Klassenzimmern weltweit. Schulen werden geschlossen, beschädigt oder ganz zerstört. Familien verlieren ihr Zuhause, Kinder ihre Routine – und mit ihr oft auch den Anschluss an die Bildung.

Diese Entwicklungen sind kein Naturgesetz, sondern direkte Folgen eines menschengemachten Klimawandels. Und sie treffen jene am härtesten, die am wenigsten zur Krise beigetragen haben. Ist das gerecht?

Bildung und Klima: Zwei Seiten derselben Medaille

Wer glaubt, dass es beim Klimawandel „nur“ um Umwelt geht, übersieht das große Ganze. Bildung ist ein zentraler Hebel für Resilienz. Gebildete Menschen verstehen Klimarisiken besser, treffen überlegtere Entscheidungen, können sich anpassen – und andere mitnehmen.

Genau deshalb ist es so dramatisch, wenn ausgerechnet in klimagefährdeten Regionen Schulen ausfallen. Die Folgen? Langfristig sinkende Alphabetisierungsraten, geringere Einkommen, weniger Mitbestimmung – kurz: ein Teufelskreis, der sich mit jedem neuen Sturm weiterdreht.

Die Weltbank schlug 2024 Alarm: 400 Millionen Schülerinnen und Schüler waren seit 2022 von witterungsbedingten Unterrichtsausfällen betroffen. UNICEF ergänzte: 242 Millionen Kinder in 85 Ländern haben 2024 den Zugang zu Bildung wegen Extremwetter verloren.

Der Blick nach vorn: Was hilft wirklich?

Klar ist: Wir müssen mehr tun – viel mehr. Nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Klassenzimmer dieser Welt. Die Empfehlungen der Stanford-Forschenden sind konkret:

  • Schulen sturmfest bauen: Keine Wellblechhütten mehr, die beim ersten Windstoß in sich zusammenfallen.
  • Notfallpläne entwickeln: Bildung darf nicht mit dem Strom ausfallen. Mobile Unterrichtseinheiten, digitale Alternativen und flexible Lehrpläne sind gefragt.
  • Klimabildung in den Lehrplan integrieren: Kinder müssen verstehen, was um sie herum passiert – und was sie selbst tun können.
  • Gemeinschaften einbeziehen: Frühwarnsysteme und Katastrophenvorsorge funktionieren nur, wenn sie lokal verankert sind.

Doch auch soziale Gerechtigkeit gehört auf die Agenda: Nur wenn Mädchen und Jungen die gleichen Chancen haben – auch und gerade nach Katastrophen – wird Bildung zum Werkzeug für eine gerechtere Zukunft.

Zwischen Resignation und Hoffnung

Manchmal, wenn ich solche Studien lese, schnürt es mir die Kehle zu. Weil es so offensichtlich ist – und doch so wenig passiert. Weil wir das Wissen hätten, aber zu selten den Willen. Und weil Kinder, die nichts dafür können, die Zeche zahlen für politische Trägheit und wirtschaftliche Interessen.

Aber es gibt auch Hoffnung. Projekte wie „Education Cannot Wait“ zeigen, wie internationale Hilfe Schulen nach Katastrophen schnell wieder aufbauen kann. Lokale Initiativen in Bangladesch oder Mosambik beweisen, dass Katastrophenvorsorge und Bildungsförderung zusammengehören.

Und irgendwo sitzt gerade ein kleines Mädchen auf einem Schulhof in der Karibik. Sie hat einen Rucksack auf dem Rücken, ein Heft in der Hand – und trotz allem ein Lächeln im Gesicht. Für sie müssen wir weitermachen. Damit kein Sturm dieser Welt ihr Wissen entreißt.

Von Andreas M. Brucker