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Ein stiller Tod geht um in unseren Seen und Flüssen. Es ist kein dramatischer Untergang mit tosenden Wellen – sondern ein schleichendes Ersticken. Der Sauerstoffgehalt in Binnengewässern sinkt. Und das weltweit. Forschende sprechen von Hypoxie, einem Zustand, bei dem Wasser so sauerstoffarm ist, dass Leben kaum mehr möglich ist.

Aber woher kommt das? Und was bedeutet es für uns alle?


Wenn Düngemittel tödlich wirken

Die Universität Utrecht hat ein globales Modell entwickelt, das erstmals den gesamten Sauerstoffkreislauf in Binnengewässern beschreibt. Und das Ergebnis? Ein deutliches: Der Mensch ist der Hauptverursacher.

Zu den schlimmsten Übeltätern zählt der übermäßige Eintrag von Nährstoffen. Felder werden großzügig gedüngt, Abwässer gelangen ungefiltert in Flüsse – die Folge: ein Überangebot an Stickstoff und Phosphor. Was dann passiert, lässt sich in vielen Gewässern beobachten: Algenblüten breiten sich explosionsartig aus. Und wenn diese Algen absterben, verbrauchen sie beim Abbau enorm viel Sauerstoff.

Dazu kommt: Der Mensch baut Dämme, reguliert Wasserflüsse, verlängert die Verweildauer des Wassers – und schafft damit ideale Bedingungen für Sauerstoffzehrung.


Klimawandel – nicht der Hauptschuldige, aber ein Brandbeschleuniger

Natürlich spielt auch der Klimawandel eine Rolle. Wärmeres Wasser kann weniger Sauerstoff speichern. Zudem laufen biologische Prozesse bei höheren Temperaturen schneller ab – was den Verbrauch weiter ankurbelt.

Aber, und das ist spannend: Laut der Studie trägt die Erwärmung „nur“ zu 10 bis 20 Prozent zum Problem bei. Die restlichen 80 bis 90 Prozent? Sind menschengemacht. Das ist erschreckend – und zugleich ermutigend. Denn was wir verursacht haben, können wir theoretisch auch beheben.


Vom Mississippi bis zum Bodensee – das Problem ist global

In Nordamerika sind zahlreiche Seen betroffen, darunter der berühmte Lake Mendota in Wisconsin. Früher ein Symbol für Wissenschaft und Ökologie – heute ein Lehrbeispiel dafür, wie Sauerstoffmangel „Todeszonen“ entstehen lässt. Ganze Lebensräume verschwinden für Wochen, manchmal Monate.

Und Europa? Keine Spur besser. Zwei Drittel der untersuchten Seen zeigen bereits ausgeprägte sauerstoffarme Zonen. Arten, die auf sauerstoffreiche Tiefen angewiesen sind – etwa viele Fischarten – sterben aus oder weichen in flachere, wärmere und oft gefährlichere Zonen aus.


Wenn der Grund des Sees zur Giftquelle wird

Wenig Sauerstoff im Wasser ist schlimm – aber was passiert im Sediment, also am Boden? Da beginnt ein zweiter Kreislauf des Schreckens: Fehlt Sauerstoff, lösen sich Nährstoffe wie Phosphor aus dem Boden und gelangen zurück ins Wasser. Das ist wie Öl ins Feuer – ein Teufelskreis beginnt.

Das fördert neue Algenblüten, die wieder sterben und wieder Sauerstoff fressen. Ein System, das sich selbst vergiftet.


Und wir? Stehen mittendrin.

Die Folgen betreffen nicht nur Fische und Frösche. Trinkwasserversorgung wird schwieriger, da Algenblüten auch Giftstoffe freisetzen können. Menschen, die im Sommer in ihren Lieblingssee springen, riskieren Hautreizungen oder sogar neurologische Symptome.

Fischerfamilien verlieren ihre Lebensgrundlage. Regionen, die auf Tourismus angewiesen sind, erleben wirtschaftlichen Abschwung – alles, weil ihre Seen „nicht mehr gesund“ sind.


Gibt’s denn keinen Ausweg?

Doch. Aber er braucht Mut – und Konsequenz.

  • Weniger Dünger. Und wenn, dann gezielter.
  • Bessere Kläranlagen, die auch Phosphor filtern.
  • Rückbau unnötiger Dämme und Wiederherstellung natürlicher Flussverläufe.
  • Schutz von Uferzonen mit Schilf und Vegetation, die als natürliche Filter wirken.
  • Und natürlich: alles, was den Klimawandel eindämmt, hilft auch hier.

Warum ist das so schwierig?

Weil es unbequem ist. Es kostet Geld. Es erfordert Umdenken – in der Landwirtschaft, bei der Stadtplanung, im Tourismus. Aber vor allem: Es passiert nicht sofort. Seen erholen sich langsam. Sichtbare Erfolge kommen nicht über Nacht. Und das macht es politisch schwer.

Aber wie lange wollen wir noch zusehen, wie unsere Gewässer „ersticken“?


Wissenschaft als Hoffnungsträger

Zum Glück stehen wir nicht ohne Werkzeug da. Die Forschung wird immer besser, die Modelle immer präziser. Wir verstehen heute viel besser, wie Hypoxie entsteht – und wie man sie vermeiden kann. Internationale Kooperationen entstehen, Kommunen tauschen sich aus. Es gibt Pilotprojekte, die Hoffnung machen. Ein See, der heute leidet, kann morgen wieder leben.


Zeit für Verantwortung – und ein wenig Selbstkritik

Man kann’s nicht anders sagen: Das Problem ist menschengemacht. Die gute Nachricht daran? Wir haben es in der Hand. Jeder Düngerstreuer, jede Kläranlage, jeder politische Entscheid zählt.

Wollen wir wirklich Seen, in denen man nicht mehr baden kann? In denen kein Fisch mehr schwimmt? In denen Wasser zwar da ist – aber kein Leben mehr?

Von Andreas M. Brucker