Sie kommen plötzlich, zerstören Straßen, Häuser und Existenzen – doch das wahre Ausmaß von Überschwemmungen zeigt sich oft erst, wenn das Wasser längst wieder verschwunden ist.
Was bleibt, wenn der Regen aufgehört hat?
Wir alle kennen die Bilder: braune Wassermassen, Boote auf überfluteten Straßen, Menschen auf Hausdächern. Die mediale Aufmerksamkeit ist groß – aber nur für kurze Zeit. Denn sobald das Wasser abfließt, verschwindet auch das Thema aus dem öffentlichen Fokus. Was dann passiert, interessiert kaum noch jemanden. Leider.
Denn Überschwemmungen hinterlassen Spuren – nicht nur in der Infrastruktur, sondern tief in den Körpern und Seelen der Betroffenen.
Wenn das Herz aus dem Takt gerät
Eine groß angelegte Studie, veröffentlicht in Nature Medicine, nahm sich genau das vor: die Langzeitfolgen. In acht Ländern analysierten Forscher*innen Krankenhauseinweisungen bis zu sieben Monate nach einer Flut. Das Ergebnis? Erschreckend.
Nicht nur Infektionen durch verseuchtes Wasser, sondern auch Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und der Atemwege traten deutlich häufiger auf – und das teils lange nach dem eigentlichen Ereignis.
Ein weiteres Forschungsteam der Yale School of Public Health bestätigte den Trend: Mehr Tote durch Herzprobleme, Atemwegserkrankungen und sogar durch psychische Leiden. Klingt krass? Ist es auch.
Die Welle im Kopf: Wenn das Trauma nicht weicht
Was kaum jemand sieht, aber viele betrifft: Die psychische Belastung. Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) nach einer Flut? Nicht selten. Studien zeigen, dass bis zu 30 Prozent der Betroffenen Symptome entwickeln – Schlafstörungen, Angstzustände, Depressionen. Besonders gefährdet sind Menschen, die ihr Zuhause verlieren oder wiederholt betroffen sind. Stell dir vor, du baust dein Leben auf – nur damit es ein paar Jahre später erneut weggeschwemmt wird. Wie hält man das aus?
In den USA fand man sogar heraus, dass die Sterblichkeitsrate in überschwemmten Regionen noch 15 Jahre später erhöht war. 15 Jahre! Die psychischen Folgen von Fluten reichen also weit in die Zukunft – oft ohne dass jemand Hilfe anbietet.
Klimakrise trifft Klassengesellschaft
Jetzt wird’s richtig bitter: Überschwemmungen treffen nicht alle gleich. Wer in Armut lebt, wenig Ressourcen hat oder strukturell benachteiligt ist, trägt die Hauptlast. In den USA etwa sterben schwarze Menschen nach Fluten dreimal häufiger als weiße. Kein Zufall, sondern ein Spiegel sozialer Ungleichheit.
Und das ist kein US-Phänomen: In Ländern wie Simbabwe oder Afghanistan ziehen Überschwemmungen einen ganzen Rattenschwanz hinter sich her – von Mangelernährung über psychische Erkrankungen bis hin zu dauerhaft schlechter medizinischer Versorgung. Und wer soll da noch von Resilienz sprechen?
Warum interessiert das eigentlich so wenige?
Vielleicht, weil wir Naturkatastrophen immer noch als „kurz und schmerzhaft“ wahrnehmen. Ein Ereignis, das kommt, geht – und fertig. Doch die Realität sieht anders aus. Überschwemmungen sind wie ein stiller Marathon: Die eigentliche Belastung beginnt oft erst, wenn die Kamerateams wieder abgereist sind.
Und mal ehrlich: Wie soll eine alleinerziehende Mutter, deren Wohnung überschwemmt wurde, einen Therapieplatz bekommen, wenn es im System ohnehin schon kaum welche gibt? Wie soll ein Rentner mit Herzproblemen nach der Flut zur Nachsorge kommen, wenn das nächste Krankenhaus 50 Kilometer entfernt liegt – und sein Auto abgesoffen ist?
Was jetzt zu tun ist – und zwar dringend
Wir brauchen ein Umdenken. Überschwemmungen sind nicht nur Naturereignisse. Sie sind Gesundheitskrisen. Und zwar langanhaltende. Deshalb braucht es mehr als Sandsäcke und Evakuierungspläne. Es braucht:
– Frühwarnsysteme, die auch soziale Risiken erfassen.
– Zugang zu psychologischer Hilfe – niedrigschwellig, langfristig, solidarisch.
– Stadtplanung, die auch an die Menschen denkt, die keine Lobby haben.
Und vor allem: einen ehrlichen Blick auf die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich im Klimawandel. Denn wer wenig hat, verliert bei einer Flut alles – und bekommt oft nichts zurück.
Die gute Nachricht?
Es gibt Menschen, Organisationen und Gemeinden, die genau das verstanden haben. Die schon heute daran arbeiten, Überschwemmungsschutz mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden. Die psychosoziale Netzwerke aufbauen, Betroffene begleiten und neue Wege suchen.
Noch sind sie in der Minderheit. Aber sie zeigen: Es geht. Man muss nur wollen.
Autor: MAB