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Der Amazonas – grüne Lunge der Erde, Heimat unzähliger Arten, Klimaregulator von globalem Ausmaß. Doch dieses Wunderwerk der Natur steht unter Stress. Nicht zum ersten Mal. Und nicht nur für ein paar Monate. Sondern seit Jahrzehnten.

Eine jetzt veröffentlichte Langzeitstudie über 22 Jahre zeigt: Der Regenwald passt sich an langanhaltende Dürreperioden an. Aber diese Anpassung hat ihren Preis – und der ist hoch. Es geht um tote Bäume, verlorenes CO₂-Bindungspotenzial und das leise, aber stetige Umschreiben eines der wichtigsten Ökosysteme der Welt.

Zwei Jahrzehnte Trockenheit – ein wissenschaftlicher Härtetest

Was passiert, wenn es im Regenwald einfach nicht mehr genug regnet?

Dieser Frage gingen Forscher:innen der University of Edinburgh und der Universidade Federal do Pará in Brasilien nach – mit einem einzigartigen Feldexperiment in der Caxiuanã-Waldreserve. Dort leiteten sie über zwei Jahrzehnte hinweg rund 50 Prozent des Regens von einer einen Hektar großen Fläche ab. Ein künstliches Dürreszenario – aber erschreckend realitätsnah, wenn man die aktuellen Klimatrends betrachtet.

Das Ergebnis: Die Vegetation hielt durch. Zumindest äußerlich. Kein sofortiger Kollaps, keine plötzliche Wüste. Aber die inneren Strukturen veränderten sich dramatisch. Vor allem die größten Bäume – jene Giganten, die den Großteil des Kohlenstoffs speichern – starben in großer Zahl. Innerhalb von 15 Jahren.

Und mit jedem gefallenen Baum ging ein Teil der CO₂-Speicherkapazität verloren.

Ein neuer Gleichgewichtszustand – aber einer mit Nebenwirkungen

Nach Jahren der Trockenheit stellte sich ein „neues Gleichgewicht“ ein. Der Wald funktionierte weiterhin – aber anders. Die Zusammensetzung der Arten hatte sich verschoben. Kleinere Bäume dominierten, das Ökosystem war strukturärmer. Und vor allem: weniger leistungsfähig im Kampf gegen den Klimawandel.

Denn der Amazonas ist nicht nur ein Biodiversitäts-Hotspot – er ist auch ein gewaltiger Kohlenstoffspeicher. Oder war es. Je mehr Bäume sterben, desto mehr CO₂ wird frei – und desto weniger kann der Wald künftig kompensieren.

Eine gefährliche Rückkopplung beginnt.

Amazonas 2024: Dürre, Feuer, Hoffnungslosigkeit?

Die Forschungsergebnisse kommen zu einem Zeitpunkt, an dem der Amazonas ohnehin schwer angeschlagen ist. 2024 war eines der schlimmsten Jahre für den tropischen Regenwald. Die Kombination aus Feuer, Abholzung und extremer Dürre führte zu Rekordverlusten. Brasilien war besonders betroffen.

Doch die ökologische Katastrophe betrifft nicht nur Tiere und Pflanzen. Millionen Menschen sind auf den Fluss und den Wald angewiesen – für Trinkwasser, Transport, Nahrung. Wenn Flüsse versiegen, Böden austrocknen und Lebensgrundlagen verloren gehen, wächst auch die soziale Unsicherheit.

Anpassung ist keine Lösung – sie ist ein Alarmsignal

Natürlich ist es faszinierend, wie ein Ökosystem auf massive Störungen reagiert. Aber Anpassung bedeutet nicht, dass alles gut ist. Es heißt vielmehr: Das System ändert sich – oft irreversibel.

Kann ein Regenwald überhaupt noch „Regenwald“ genannt werden, wenn die Artenvielfalt schwindet, die größten Bäume fehlen und die Funktionen verloren gehen? Oder handelt es sich dann nur noch um eine grüne Kulisse mit gedrosseltem ökologischen Motor?

Klimaschutz beginnt dort, wo Regen fällt – oder eben nicht mehr

Die Erkenntnisse dieser Studie müssen in Taten übersetzt werden. Aufforstung reicht nicht. Es braucht echten Waldschutz. Kein „Business as usual“ mit grünen Etiketten.

  • Kein weiterer Straßenbau im Regenwald.
  • Keine neuen Agrarflächen auf abgebranntem Boden.
  • Keine Toleranz gegenüber illegalem Holzeinschlag.

Stattdessen: internationale Kooperation, indigene Rechte stärken, wirtschaftliche Alternativen fördern. Der Amazonas ist kein entfernter Ort auf der Weltkarte – er ist Teil unseres globalen Lebenssystems.

Und was bleibt?

Vielleicht sollten wir aufhören, Wälder nur als CO₂-Speicher zu betrachten. Vielleicht ist ihre Fähigkeit, sich anzupassen, nicht der Beweis für ihre Stärke – sondern ein letzter Hilferuf.

Der Amazonas überlebt – aber er verliert sich dabei. Und wir verlieren mit ihm mehr, als wir ahnen.

Von Andreas M. B.