Am 17. Juni 2025 hat das französische Parlament einen bemerkenswerten Schritt gewagt: Es erlaubt, auf nationalem Boden abgeschiedenes CO₂ ins Ausland zu exportieren – genauer gesagt, in unterirdische Speicher unter dem Meeresboden, etwa in der Nordsee.
261 Abgeordnete sagten Ja, 107 stimmten dagegen.
Warum dieser Schritt?
Weil die französische Industrie ihn braucht – dringend.
Was tun mit „unvermeidbarem“ CO₂?
Es gibt Emissionen, die man kaum vermeiden kann. Bei der Zementherstellung zum Beispiel entsteht CO₂ nicht nur beim Verbrennen von Energie, sondern auch beim chemischen Prozess selbst. Dasselbe gilt für Kalkbrennereien oder Stahlwerke. Dieses CO₂ wird oft als „fatal“ bezeichnet – nicht, weil es gefährlicher wäre, sondern weil es unvermeidbar scheint.
Was also tun? Man kann es einfangen – und dann? Frankreich will es künftig exportieren und tief im Meeresboden verpressen.
Technologischer Fortschritt – oder Verkürzung des Problems?
Industrie- und Energieminister Marc Ferracci spricht von einer „notwendigen Maßnahme“, um Industrie-Produktion in Frankreich zu halten, ohne weiter ungebremst CO₂ auszustoßen. In der Strategie zur Klimaneutralität bis 2050 sollen 8 % bis 13 % der Emissionsreduktionen durch sogenannte CCS-Technologien erfolgen – also durch CO₂-Abscheidung und ‑Speicherung.
Doch: Ist das ein Fortschritt – oder nur eine bequeme Abkürzung?
Frankreich fehlt es (noch) an eigenen Speichern
Das Dilemma: In Frankreich gibt es derzeit keine betriebsbereiten geologischen Speicher für CO₂. Während Länder wie Norwegen oder Dänemark längst Projekte betreiben, hinkt Frankreich hinterher. Die ersten französischen Speicher könnten ab 2030 verfügbar sein.
Bis dahin? Wird das CO₂ per Schiff oder Pipeline exportiert.
Nordsee statt Normandie.
Zwei Beispiele: Die Zementfabrik Eqiom in Lumbres und die Kalkfabrik Lhoist in Rety planen bereits, CO₂ abzuscheiden und ins Ausland zu transportieren. Das heißt konkret: Schwerindustrie in Nordfrankreich – und Speicherprojekte unter dänischen, norwegischen oder niederländischen Hoheitsgewässern.
Klingt pragmatisch. Ist es auch.
Aber: Es gibt Widerspruch.
Linke Abgeordnete und Umweltpolitiker warnen: Das sei eine „technologische Flucht nach vorn“, um sich nicht mit den Ursachen der Klimakrise zu beschäftigen.
Zement ohne CO₂? Gibt es bisher nicht. Aber weniger Zement – wäre das nicht auch eine Lösung?
Ein kommunistischer Abgeordneter brachte es so auf den Punkt: „Den Staub unter den Teppich kehren – oder das CO₂ unter den Ozean vergraben – das reicht nicht.“
Teuer, riskant – und trotzdem notwendig?
CO₂-Transport birgt Risiken. Hohe Kosten für Kompression, Verflüssigung, Transport und Einlagerung. Technische Unsicherheiten. Und: Was passiert in 50 Jahren, wenn ein Speicher leckt? Deshalb fordern viele: Statt auf teure Speicher im Ausland zu setzen, sollte Frankreich stärker in Vermeidung investieren – Energieeffizienz, Wärmepumpen, Elektrifizierung, grüne Innovationen.
Und doch: Wer das Klima ernst nimmt, muss beides tun – vermeiden und speichern.
Das neue Gesetz schafft einen Rahmen – mehr nicht. Es erlaubt die Ausfuhr von CO₂, setzt aber keine Mengen, keine Speicherziele, keine Finanzierungspflichten.
Es ist ein Zwischenschritt.
Ein Signal an die Industrie: Frankreich lässt euch nicht allein. Und ein Signal an Europa: Wir bauen keine CO₂-Burgen – wir arbeiten zusammen.
Und was sagt die Wissenschaft?
Aus geologischer Sicht sind Speicher unter dem Meeresboden relativ sicher – bei guter Planung. Salzwasseraquiferen, leere Gasfelder, dichte Deckschichten: Das alles kann CO₂ über Jahrhunderte einschließen.
Voraussetzung: Monitoring, Transparenz, Langzeitverantwortung.
Aus politischer Sicht ist das Gesetz klug: Es überbrückt die Jahre, bis Frankreich eigene Speicher aufbauen kann. Gleichzeitig setzt es die Industrie unter Druck, CO₂ überhaupt erst abzuscheiden – was bisher kaum jemand tut.
Aus sozialer Sicht bleibt vieles offen. Wer zahlt? Wer kontrolliert? Wer entscheidet, wo Speicher entstehen – und ob?
Zwei unbequeme Fragen
- Wird CO₂-Speicherung zur Ausrede, um klimaschädliche Strukturen weiterlaufen zu lassen?
- Oder ist sie eine Chance, Zeit zu gewinnen – und neue Wege zu entwickeln, ohne wirtschaftlichen Absturz?
Die Antwort liegt dazwischen.
Klar ist: CCS wird nicht die Welt retten. Aber ohne CCS wird es schwer, bestimmte Sektoren klimaneutral zu machen.
Ein Zwischenfazit mit Bauchgefühl
Ich war 2021 auf einer Exkursion zu einem CCS-Testfeld in Südfrankreich. Damals war das alles Zukunftsmusik. Heute sind wir mittendrin. Technisch faszinierend. Politisch sensibel. Sozial aufgeladen.
Ich bin überzeugt: CCS darf keine Ersatzhandlung werden. Aber als Teil eines größeren Bildes – ja, da gehört es hin.
Wenn wir diese CO₂-Exporte als Brückentechnologie begreifen, und gleichzeitig alles daransetzen, dass sie bald überflüssig wird – dann ist das ein guter Weg.
Autor: Andreas M. Brucker