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Die Klimakrise ist längst kein abstraktes Zukunftsszenario mehr – sie ist da, spürbar, sichtbar, messbar. Doch es gibt Schwellen, sogenannte Kipppunkte, die, wenn sie überschritten werden, Veränderungen einleiten, die unumkehrbar sind. Genau das ist das Beängstigende: Kleine Ursachen können gewaltige, unaufhaltsame Folgen auslösen. Ein Dominoeffekt mit globalen Auswirkungen.


Was genau sind Kipppunkte?

Kipppunkte sind Schwellenwerte in komplexen Systemen. Überschreitet man diese, kommt es zu massiven, oft selbstverstärkenden Veränderungen. Im Klimasystem können das beispielsweise das vollständige Abschmelzen des grönländischen Eisschildes, das Absterben von Korallenriffen oder das Auftauen von Permafrostböden sein. All diese Prozesse haben eines gemeinsam: Sie wirken wie ein Katalysator. Einmal in Gang gesetzt, laufen sie weiter – egal, ob wir später die Emissionen drastisch senken oder nicht.

Diese Phänomene sind keine Science-Fiction. Sie sind gut erforscht und zum Teil bereits in Bewegung. Einmal überschritten, gibt es kein Zurück mehr. Und schlimmer noch: Sie könnten sich gegenseitig verstärken. Das Schmelzen des arktischen Meereises beispielsweise beeinflusst Luft- und Meeresströmungen, was wiederum andere Kippelemente destabilisieren kann.


Die 1,5-Grad-Marke: Schutzwall oder Illusion?

Der Begriff „1,5 Grad“ geistert oft durch Medien und Politik. Warum eigentlich? Weil diese Marke im Pariser Klimaabkommen als Schwelle festgelegt wurde, die uns vor den schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels bewahren soll. Klingt beruhigend? Ist es aber nicht. Denn selbst bei 1,5 Grad über vorindustriellem Niveau könnten wir bereits mehrere Kipppunkte auslösen. Und aktuell steuern wir schnurstracks auf diese Schwelle zu.

Je weiter wir die globale Durchschnittstemperatur erhöhen, desto wahrscheinlicher wird es, dass wir diese kritischen Schwellen überschreiten. Jedes Zehntelgrad zählt. Schon ein Anstieg um 0,1 Grad mehr kann die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, dass Kipppunkte ausgelöst werden. Das ist nicht linear – es ist wie beim Überquellen eines randvollen Glases: Ein Tropfen zu viel, und alles läuft über.


Wo stehen wir aktuell?

Die Temperatur ist bereits mindestens um rund 1,2 Grad gestiegen. Viel Spielraum bleibt da nicht mehr. Einige Kippelemente, wie das sommerliche Meereis der Arktis, zeigen bereits deutliche Zeichen des Kollapses. Das grönländische Eisschild könnte sich ebenfalls in einem labilen Zustand befinden, genauso wie das Westantarktische. Tropische Korallenriffe? Schon heute kämpfen sie ums Überleben.

Eine große Gefahr sind auch die Permafrostböden. Sie enthalten riesige Mengen an Kohlenstoff – deutlich mehr, als aktuell in der Atmosphäre vorhanden ist. Tauen sie auf, wird Methan freigesetzt, ein besonders starkes Treibhausgas. Und Methan befeuert den Klimawandel noch weiter. Ein Teufelskreis.


Warum hört niemand auf die Warnungen?

Das Paradoxe: Die Mehrheit der Menschen weltweit unterstützt mehr Klimaschutz. Aber viele glauben, dass sie damit alleinstehen. Dieses Schweigen der Mehrheit lähmt kollektives Handeln. Dabei könnte gerade ein gesellschaftlicher Kipppunkt – der Moment, in dem die Unterstützung für Klimaschutz kippt und massenhaft in Handlungen umschlägt – genauso entscheidend sein wie die physikalischen Kipppunkte.

Wie bringt man also diesen gesellschaftlichen Dominoeffekt ins Rollen? Indem man das Schweigen bricht. Indem man zeigt, dass der Wille zum Wandel da ist. Und indem man Hoffnung macht, dass Veränderung möglich ist. Auch das ist ein Kipppunkt – nur eben im positiven Sinn.


Was passiert, wenn wir nichts tun?

Kipppunkte im Klimasystem sind keine „Wenn“, sondern eine „Wann“-Frage. Wenn wir weitermachen wie bisher, riskieren wir, mehrere dieser Punkte in relativ kurzer Zeit zu überschreiten. Das könnte Kaskadeneffekte auslösen: Ein Kipppunkt führt zum nächsten, ein Prozess verstärkt den anderen – bis das Klimasystem sich in eine neue, für uns Menschen ungemütliche Richtung entwickelt. Selbst wenn wir dann stoppen wollten, wäre es zu spät.

Die Folgen wären drastisch: Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter über Jahrhunderte, Verlust von Millionen Quadratkilometern fruchtbarem Land, massive Störungen in Wettersystemen, Bedrohung der weltweiten Nahrungsmittelversorgung. Kein schöner Gedanke, oder?


Hoffnung? Ja – aber nicht ohne Taten

Es gibt kein einfaches „Zurück“. Aber es gibt noch die Möglichkeit, die schlimmsten Szenarien zu verhindern. Das erfordert: massive und sofortige Reduktion der Treibhausgasemissionen, Investitionen in erneuerbare Energien, den Schutz und die Wiederherstellung von Ökosystemen und nicht zuletzt die Mobilisierung der Gesellschaft.

Und ja, das klingt gewaltig. Aber es ist möglich. Der gesellschaftliche Kipppunkt hin zu mehr Klimaschutz – der könnte genau jetzt sein. Warum also nicht Teil dieser Welle sein?

Autor: Von Andreas M. B.