Lesedauer: 5 Minuten

Was passiert, wenn Technologie schneller wächst als das Gewissen? Genau das sehen wir gerade. Die Klimaziele der großen Tech-Giganten – Google, Microsoft, Amazon und Meta – stehen auf der Kippe. Und die Ursache? Künstliche Intelligenz. Klingt paradox, oder?

Von ambitionierten Zielen zur ernüchternden Realität

Vor ein paar Jahren noch klang alles nach Fortschritt. Google versprach Netto-Null bis 2030. Amazon setzte sich 2040 als Ziel. Microsoft wollte nicht nur CO₂-neutral werden, sondern sogar CO₂-negativ. Klingt gut, oder?

Doch heute? Die Emissionen steigen – teils dramatisch. Bei Google stiegen sie im letzten Jahr um satte 11 Prozent. Bei Amazon waren es 6 Prozent mehr. Selbst Microsoft, das lange als Vorreiter galt, kämpft damit, das Niveau von 2021 zu halten. Und bei Meta? Schweigen im Walde.

Was ist passiert?

Die KI-Explosion: Ein Boom mit Nebenwirkungen

Künstliche Intelligenz frisst Strom. Und zwar nicht zu knapp. Schon jetzt verschlingen Rechenzentren, die KI-Modelle wie ChatGPT antreiben, rund 4 bis 5 Prozent des gesamten Stromverbrauchs der USA. In nur wenigen Jahren könnte sich dieser Anteil verdoppeln oder gar verdreifachen. Rechenzentren schießen wie Pilze aus dem Boden – einige so groß wie ganze Stadtteile.

Amazon baut ein gigantisches Zentrum in Indiana, dessen Energieverbrauch dem von einer Million Haushalten entspricht. Meta plant ein weiteres, das flächenmäßig Manhattan Konkurrenz macht. Und Google? Investiert Milliarden in neue Kapazitäten – genau wie Microsoft.

Doch woher mit all dem Strom?

Erneuerbare Energie – das Tempo reicht nicht

Natürlich setzen die Tech-Konzerne auf erneuerbare Energien. Google will seine Rechenzentren rund um die Uhr mit grünem Strom versorgen. Amazon betont, bereits heute seinen Stromverbrauch mit 100 Prozent erneuerbarer Energie zu decken.

Aber da gibt es einen Haken.

Die Nachfrage steigt schneller, als Windräder gebaut und Solarpanels installiert werden. Während die Investitionen in KI durch die Decke gehen, bleibt der Ausbau der erneuerbaren Energie zurück. Noch dazu erschweren politische Weichenstellungen in den USA den Ausbau – Subventionen werden gestrichen, Projekte verzögert.

Mit anderen Worten: Es wird eng.

Tech-Konzerne unter Druck – Glaubwürdigkeit in Gefahr

Wenn Emissionen steigen, obwohl Unternehmen sich öffentlich zur CO₂-Neutralität bekennen, schrumpft das Vertrauen. Analysten bezweifeln bereits, ob diese Klimaversprechen überhaupt noch ernst gemeint sind. Denn was bringen Ziele, wenn sie auf Daten basieren, die die Realität schönfärben?

Viele dieser Unternehmen setzen auf sogenannte Scope-1- bis Scope-3-Berechnungen, wobei besonders Scope 3 – also indirekte Emissionen entlang der Lieferkette – gerne ausgeblendet oder beschönigt wird.

Ein Schelm, wer dabei an Greenwashing denkt.

Effizienz als Strohhalm – oder echter Hebel?

Natürlich gibt es Wege, Energie zu sparen. Schon kleine Maßnahmen können viel bringen. In einem Experiment wurde etwa ChatGPT angewiesen, in Spitzenzeiten nur noch Kurzantworten zu geben – das sparte 70 Prozent der Emissionen.

Auch intelligente Kühlung, datengetriebene Lüftung oder flexibles Lastmanagement helfen, Energie sinnvoller zu nutzen. Doch selbst die besten Effizienzgewinne kompensieren nicht das, was durch die massive KI-Nachfrage zusätzlich entsteht.

Da stellt sich die Frage: Ist Effizienz nur Kosmetik?

Der blinde Fleck: Soziale Gerechtigkeit

Ein Aspekt bleibt oft außen vor: Die sozialen Folgen des Tech-Booms. Datenzentren stehen häufig in strukturschwachen Gegenden. Die lokale Bevölkerung zahlt die Zeche – durch höheren Energieverbrauch, mehr Lärm, mehr Umweltbelastung. Gleichzeitig profitieren vor allem die Großkonzerne.

Wenn Klimaschutz nicht auch soziale Fragen beantwortet, ist er unvollständig.

Klimagerechtigkeit bedeutet, dass auch ärmere Bevölkerungsgruppen nicht benachteiligt werden – weder im globalen Süden noch im Herzen der USA oder Europas.

Interdisziplinäre Lösungen – oder Stückwerk ohne Wirkung?

Technik allein löst das Problem nicht. Es braucht die Zusammenarbeit vieler Disziplinen: Klimawissenschaft, IT, Stadtplanung, Sozialforschung und Wirtschaft müssen gemeinsam Antworten entwickeln.

Ein Rechenzentrum ist nicht nur ein Gebäude mit Servern – es ist ein Knotenpunkt von Energiepolitik, Technologie, Gesellschaft und Umwelt. Nur wer diese Komplexität anerkennt, kann echte Lösungen entwickeln.

Und ja – es braucht Mut zur Veränderung.

Was motiviert – und was frustriert

Mich persönlich treibt ein Zwiespalt um: Auf der einen Seite fasziniert mich die technologische Entwicklung. KI hat das Potenzial, die Welt positiv zu verändern. Auf der anderen Seite sehe ich, wie achtlos mit Ressourcen umgegangen wird. Wie Versprechen gemacht werden, die durch das nächste Update gleich wieder Makulatur sind.

Was mich aber immer wieder hoffen lässt, sind die vielen Menschen – Wissenschaftler, Aktivisten, Ingenieure –, die unermüdlich nach besseren Wegen suchen. Nicht alle Tech-Unternehmen gehen in die gleiche Richtung. Einige investieren in echte Transparenz, in Speicherlösungen, in CO₂-freie Technologien. Manche machen Ernst.

Zwei Fragen, die uns alle angehen:

  • Wie lange lässt sich wirtschaftliches Wachstum noch mit Klimazielen vereinbaren, wenn die Emissionen stetig steigen?
  • Wäre es nicht ehrlicher, wenn Unternehmen ihre KI-Strategien offen mit Klimaplänen verknüpfen – statt beides separat zu betrachten?

Was jetzt passieren muss

  1. Verbindliche Transparenz: Unternehmen müssen klare, überprüfbare Emissionsdaten veröffentlichen – ohne Tricks bei der Berechnung.
  2. Echte CO₂-freie Energiequellen: Nicht nur „Matching“ auf Jahresbasis, sondern Versorgung rund um die Uhr mit sauberem Strom.
  3. Effizienzpflichten: Gesetzliche Vorgaben zur Energieeffizienz von Datenzentren – nicht als Nice-to-have, sondern als Standard.
  4. Soziale Mindeststandards: Keine Rechenzentren auf Kosten der schwächeren Bevölkerung. Beteiligung, Mitsprache und faire Standortwahl müssen Teil jeder Planung sein.
  5. Kooperation statt Wettbewerb: Tech-Unternehmen könnten gemeinsam an offenen Standards arbeiten, die Klimaziele und Innovation vereinen.

Es geht nicht darum, KI auszubremsen. Es geht darum, sie richtig zu steuern.

Denn wenn wir jetzt nicht gegensteuern, drohen Klimaversprechen genauso zu verpuffen wie CO₂ aus schlecht abgedichteten Gaskraftwerken. Dabei haben wir längst das Wissen und die Technologie, um es besser zu machen.

Die Frage ist nur: Haben wir auch den Willen?

Von Andreas M. Brucker