Regen ist nicht gleich Regen – und genau das verändert unsere Sicht auf den Klimawandel.
Denn was lange als sicher galt, wird gerade neu sortiert: Die Annahme, dass extreme Niederschläge in einer wärmeren Welt immer intensiver werden, weil warme Luft mehr Feuchtigkeit hält. Klingt logisch, oder?
Doch Wissenschaft ist selten so simpel.
Forscherinnen und Forscher der Universität Potsdam haben sich genau diese alte Faustregel vorgenommen – und sie ordentlich durchgeschüttelt. Was sie dabei entdeckt haben, verändert nicht nur unsere Vorstellung davon, wie Regen entsteht. Es verändert auch, wie wir Städte bauen, Ackerland planen und Risiken abschätzen.
Die gute alte Clausius-Clapeyron-Gleichung
Lange galt sie als das Maß aller Dinge in der Meteorologie: Die Clausius-Clapeyron-Gleichung. Ihre zentrale Aussage? Pro Grad Celsius mehr Lufttemperatur kann die Atmosphäre etwa 7 % mehr Wasserdampf aufnehmen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Je wärmer es wird, desto stärker könnten Regenfälle ausfallen – eine Grundannahme in vielen Klimamodellen.
Aber Moment mal – warum messen Meteorologen dann in manchen Regionen viel extremere Regenzunahmen als diese 7 %?
Der Mythos vom „Super-Clausius-Clapeyron-Effekt“
In der Fachwelt wurde das Phänomen lange als „Super-Clausius-Clapeyron-Effekt“ bezeichnet – also eine überproportionale Zunahme von Starkregenereignissen bei steigender Temperatur. Klingt dramatisch. Und war entsprechend alarmierend.
Doch genau hier setzen die Forschenden aus Potsdam an. Sie zeigen: Diese Übertreibung könnte auf einem simplen Fehler beruhen – einem Denkfehler, der statistisch entstanden ist, nicht physikalisch.
Zwei Regenarten, zwei Geschichten
Um diesen Widerspruch aufzulösen, haben die Wissenschaftler Regen nicht einfach als „Regen“ betrachtet – sondern sauber getrennt zwischen zwei Haupttypen:
- Stratiformer Regen: gleichmäßig, länger andauernd, eher gemäßigt. Der Klassiker an grauen Herbsttagen.
- Konvektiver Regen: kurz, heftig, oft gewittrig. Typisch für Sommernachmittage mit Donnergrollen.
Das Ergebnis: Beide Typen folgen für sich genommen sehr wohl der bekannten 7-%-Regel. Doch wenn man sie statistisch in einen Topf wirft, entsteht ein verzerrtes Bild – der sogenannte „Super-C-C“-Effekt erscheint dann wie aus dem Nichts. Ein Trugbild, das nicht durch physikalische Realität gedeckt ist, sondern durch methodische Vermischung.
Was heißt das für den Klimaschutz?
Wer nun denkt: „Na dann halb so wild!“ – Achtung, zu früh gefreut. Denn die Erkenntnis bedeutet nicht, dass extreme Regenfälle seltener oder weniger heftig werden. Sie werden nur verständlicher. Und damit vorhersagbarer.
Denn nun ist klar: Wenn wir Regenarten trennen und einzeln analysieren, können wir präzisere Klimamodelle bauen. Und das ist ein echter Gamechanger – für Bauingenieure, Stadtplaner und Landwirte.
Denn seien wir ehrlich: Niemand möchte sich beim nächsten Starkregen durch kniehohes Wasser kämpfen, nur weil die Kanalisation auf den „falschen“ Regen ausgelegt war.
Präzisere Modelle, bessere Anpassung
Diese neue Differenzierung hilft, Risiken besser einzugrenzen. Etwa in Städten wie Köln, Hamburg oder München, wo Starkregen regelmäßig zu Millionenschäden führt. Oder auf dem Land, wo konvektive Sommerstürme ganze Ernten vernichten.
Wer weiß, welche Regenart bei bestimmten Temperaturen dominiert, kann gezielter reagieren: mit Regenrückhaltebecken, smarter Flächenplanung oder Fruchtfolgen, die besser mit Wasserüberschuss umgehen.
Ein kleiner statistischer Fehler – mit großer Wirkung
Schon verrückt, oder? Dass ein winziger methodischer Kniff jahrelang zu einer falschen Deutung geführt hat – und damit auch Klimamodelle, Katastrophenpläne und Investitionen beeinflusst hat.
Aber genau das ist Wissenschaft: ein nie endender Lernprozess. Und manchmal bedeutet Fortschritt eben nicht, dass wir mehr wissen – sondern, dass wir besser unterscheiden.
Wie weiter?
Der Weg zu klimagerechter Infrastruktur führt nicht nur über CO₂-Bilanzen und Windkraftparks – sondern auch über hydrologisches Feingefühl. Denn Wasser wird in Zukunft nicht nur zum Streitpunkt in der globalen Gerechtigkeit – es wird zum Prüfstein für unsere Fähigkeit, mit komplexen Systemen umzugehen.
Und mal ehrlich: Wenn uns die letzten Jahre etwas gelehrt haben, dann das – die Natur kennt keine einfachen Antworten. Aber sie liefert Hinweise. Wir müssen sie nur lesen.
Ein persönlicher Gedanke
Ich erinnere mich an einen heftigen Sommerregen im Jahr 2017. Innerhalb von 20 Minuten stand die komplette Straße unter Wasser. Kinder paddelten mit Schwimmtieren durch die Pfützen, während Erwachsene verzweifelt Sandsäcke stapelten. Damals dachte ich noch: „Das ist halt Klimawandel.“
Heute weiß ich: Es war konvektiver Starkregen – ein Teil eines viel feinmaschigeren Musters. Und genau dieses Wissen macht Hoffnung. Denn was wir verstehen, können wir auch gestalten.
Klimaschutz bedeutet nicht nur CO₂ sparen – es bedeutet auch, die Sprache des Wetters neu zu lernen.
Und, sind wir bereit für diesen Perspektivwechsel?
Von Andreas M. Brucker
Quellen:
- Phys.org – Extreme rainfall and temperature
- Wired – Why Rain Is Getting Fiercer
- EGUsphere – Estimation of future rainfall extremes
- EGUsphere – Diverse Causes of Extreme Rainfall