Still, verborgen, unterschätzt – so war der Boden lange Zeit im Klimadiskurs. Während sich die Welt auf CO₂-Schleudern wie Kohlekraftwerke, Autos oder Flugzeuge konzentrierte, ruhte unter unseren Füßen ein Riese. Ein Riese, der bisher stillhielt. Doch nun beginnt er zu erwachen – und das verändert alles.
Eine neue Studie vom MARUM in Bremen und dem Alfred-Wegener-Institut (AWI) bringt alarmierende Ergebnisse ans Licht: Die Böden dieser Erde geben ihren gespeicherten Kohlenstoff deutlich schneller frei, als bisher angenommen. Und die Ursache? Steigende Temperaturen.
Der vergessene Gigant: Böden als Kohlenstoffspeicher
Kaum jemand denkt beim Klimawandel an den Boden. Dabei steckt dort mehr als doppelt so viel Kohlenstoff wie in der gesamten Atmosphäre. Ja, richtig gelesen – doppelt so viel. Wälder sind bekanntlich CO₂-Senken. Aber Böden? Die sind mindestens genauso wichtig.
Was passiert also, wenn sich dieser gigantische Speicher plötzlich öffnet?
Ganz einfach: Der Klimawandel beschleunigt sich selbst. Ein gefährlicher Rückkopplungseffekt – wie ein Schneeball, der zur Lawine wird.
Mikroben – die verborgenen Motoren des CO₂-Ausstoßes
Im Zentrum dieses Prozesses stehen Mikroorganismen. Winzige Wesen, die pflanzliche Überreste zersetzen. Das machen sie schon seit Millionen Jahren – nichts Neues also. Aber unter wärmeren Bedingungen werden sie richtig aktiv.
Je wärmer und feuchter der Boden, desto schneller arbeiten diese Mikroben. Das Ergebnis: mehr Zersetzung, mehr CO₂-Ausstoß, weniger gespeicherter Kohlenstoff.
Die neue Studie zeigt, dass vor allem tropische und subtropische Regionen betroffen sind. Dort herrschen ohnehin feuchte und warme Bedingungen – und genau das befeuert den Prozess zusätzlich.
Wie viel schneller dieser Effekt greift? Deutlich schneller, als viele Klimamodelle bisher angenommen haben.
Ein unterschätztes Risiko mit globaler Tragweite
Was bedeutet das für unser Verständnis vom Klimawandel?
Kurz gesagt: Die Karten müssen neu gemischt werden. Klimamodelle, auf denen politische Entscheidungen, Emissionsziele und internationale Abkommen basieren, könnten den Beitrag der Böden zur CO₂-Freisetzung bisher systematisch unterschätzt haben.
Die Forscher warnen: Wenn die Böden anfangen, massiv Kohlenstoff abzugeben, wird es deutlich schwerer, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Und das bedeutet wiederum mehr Hitzewellen, mehr Dürren, mehr Extremwetter. Ein echter Teufelskreis.
Warum darüber kaum jemand spricht
Vielleicht liegt es daran, dass der Boden leise ist. Er knallt nicht. Er brennt nicht. Er fällt nicht vom Himmel. Und doch ist er die Bühne eines der gefährlichsten klimatischen Kipppunkte unserer Zeit.
Wir sehen ihm nicht an, dass er sich verändert. Und trotzdem tut er es. Still und stetig.
Eine persönliche Perspektive: Der Boden, den wir kennen – und doch nicht verstehen
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Bäuerin in Uganda. Sie zeigte mir ihre Felder, die in den letzten Jahren immer schwieriger zu bewirtschaften waren. Der Regen blieb aus, der Boden wurde hart. „Früher“, sagte sie, „war die Erde hier weich, fruchtbar, voll Leben.“
Diese Erde – sie war nicht nur ihr Lebensraum, sondern auch ein Speicher. Für Wasser, für Nährstoffe, für Kohlenstoff. Heute? Ist vieles davon verloren.
Solche Geschichten gibt es überall. Auch bei uns. In Brandenburg. In Andalusien. In Kalifornien. In Frankreich. Und sie alle erzählen von einem Wandel, der tief unter der Oberfläche beginnt – aber an der Oberfläche entschieden wird.
Die große Unbekannte in den Modellen
Ein Problem: Die Reaktionen von Böden auf Klimaveränderungen sind extrem komplex. Sie hängen von Temperatur, Feuchtigkeit, Bodenart, Vegetation, Nutzung und Mikroorganismen ab.
Bisherige Klimamodelle vereinfachen diese Zusammenhänge. Zu sehr, wie sich jetzt zeigt. Die neue Studie aus Bremen und Bremerhaven fordert daher: mehr Forschung, mehr Daten, bessere Simulationen.
Denn wer den Boden nicht versteht, versteht den Klimawandel nur zur Hälfte.
Was jetzt zu tun ist – konkret
- Forschung stärken
Internationale Kooperationen zur Bodenforschung müssen ausgebaut werden. Globale Monitoring-Systeme, Bodensensoren, Langzeitbeobachtungen – alles das ist nötig, um ein realistisches Bild zu bekommen. - Landnutzung überdenken
Landwirtschaft, Abholzung, Monokulturen – all das beeinflusst die Stabilität des Bodenkohlenstoffs. Eine nachhaltige Nutzung kann helfen, Speicher zu erhalten. - Renaturierung fördern
Moorlandschaften, Wälder und Grasländer können helfen, Kohlenstoff im Boden zu binden. Ihre Wiederherstellung ist eine Klimaschutzmaßnahme mit Langzeitwirkung. - Modelle anpassen
Politische Entscheidungen basieren auf Prognosen. Diese müssen die Dynamik des Bodens realistischer abbilden – sonst laufen wir blind in die nächste Krise. - Bewusstsein schaffen
Der Boden braucht eine Lobby. In Schulen, in Medien, in der Politik. Es geht um mehr als fruchtbare Felder – es geht um Klimastabilität.
Und was, wenn wir nichts tun?
Dann verlieren wir nicht nur einen Speicher – sondern machen ihn zur Quelle. Ein Boden, der Kohlenstoff freisetzt statt speichert, ist wie ein löchriges Dach in einem Sturm: Irgendwann hilft kein Eimer mehr.
Was bleibt, ist die Frage: Warum ist dieser Aspekt des Klimawandels so wenig bekannt?
Vielleicht, weil er unbequem ist. Denn anders als bei Emissionen aus Verkehr oder Industrie hilft hier kein Schalter, kein Gesetz, kein schneller Fix. Der Boden verändert sich langsam – aber unumkehrbar.
Und gerade deshalb sollten wir jetzt handeln.
Hoffnung? Ja, die gibt’s.
Trotz aller Dramatik zeigt die Studie auch, dass wir reagieren können. Mit Wissen, mit Strategie, mit Respekt vor dem, was unter unseren Füßen liegt. Wir können Böden stabilisieren, wieder aufbauen, schützen.
Und wir können aufhören, sie zu unterschätzen.
Denn wer den Boden stärkt, stärkt das Klima. Und damit – uns alle.
Von Andreas M. B.