Belém, Brasilien. Dichte Luft, flirrende Hitze – und politische Spannungen, die mindestens genauso drückend sind wie das Klima vor Ort. Inmitten des grünen Herzens Amazoniens tagt derzeit die 30. Weltklimakonferenz – besser bekannt als COP30. Und während die internationale Staatengemeinschaft zusammenkommt, um über die Zukunft des Planeten zu verhandeln, bleibt eine Frage unausgesprochen im Raum hängen: Geht’s hier wirklich noch ums Klima – oder nur noch um politische Kosmetik?
Denn: Die Zwischenbilanz ist alles andere als ermutigend.
Eine Konferenz auf Messers Schneide
Wer gehofft hatte, dass die COP30 zur historischen Weichenstellung wird – zum verbindlichen Ja zur Abkehr von fossilen Energien, zur gerechteren Klimafinanzierung, zur echten Umsetzung des Pariser Abkommens – wurde bisher enttäuscht.
Ein Satz der französischen Umweltministerin Agnès Pannier‑Runacher bringt es nüchtern auf den Punkt: „Wir sind noch weit entfernt.“ Autsch. Wieder so ein typischer Satz aus dem politischen Klimatheater, der alles und nichts sagt.
Aber was blockiert die Gespräche genau?
1. Klimageld – oder leere Versprechen?
Klimaschutz kostet. Und für viele Staaten im Globalen Süden geht es nicht nur um Emissionen – sondern ums nackte Überleben. Überschwemmungen, Dürren, zerstörte Ernten: Diese Länder zahlen den höchsten Preis für eine Krise, die sie kaum verursacht haben.
Deshalb stehen in Belém große Zahlen im Raum: 1,3 Billionen US-Dollar jährlich – so hoch soll die Finanzierung bis 2035 ausfallen, um Anpassung, Energiewende und Schadensbegrenzung zu stemmen. Ambitioniert, keine Frage. Aber: Konkrete Zusagen? Fehlanzeige. Es ist wie beim Pokern ohne Chips.
Ein afrikanischer Delegierter soll bei einer Sitzung leise gesagt haben: „Wir verhandeln hier über Worte – während bei uns das Wasser steigt.“ Was soll man dazu noch sagen?
2. Raus aus der Kohle – aber wann?
Der zweite große Knackpunkt: der Ausstieg aus fossilen Energien. Eigentlich eine klare Sache, oder? Aber hier wird’s richtig zäh. Die Fronten verlaufen scharf. Kleine Inselstaaten, deren Existenz vom steigenden Meeresspiegel bedroht ist, fordern verbindliche Fristen für den Ausstieg. Saudi-Arabien und andere Länder, deren Wirtschaft massiv auf Öl und Gas baut, stemmen sich mit aller Kraft dagegen.
Was fehlt? Eine klare Sprache. Der Begriff „phase-out“ – also der vollständige Ausstieg – wird gemieden wie vom Teufel das Weihwasser. Stattdessen: „phase-down“, „reduction“, „net zero pathway“ – alles schön weichgespült. Das ist wie ein Versprechen mit Rückzieher eingebaut.
Und da fragt man sich: Warum ist es im Jahr 2025 immer noch so schwer, sich vom 20. Jahrhundert zu verabschieden?
3. Umsetzung: Papier ist geduldig – die Erde nicht
Selbst wenn Ziele definiert würden – wie glaubwürdig ist ihre Umsetzung?
Viele erinnern sich noch an Glasgow oder Dubai: große Reden, schöne Kulissen, aber zu wenig konkrete Taten. Auch jetzt schwebt die Angst über Belém, dass wieder nur ein Text voller Absichten herauskommt – statt ein Plan mit Biss.
Hinzu kommt die Frage: Ist das alles sozial gerecht gestaltet? Der Begriff „Just Transition“ – also eine faire, soziale Transformation – schwebt zwar in den Debatten, aber oft nur am Rande. Dabei müsste er ins Zentrum.
Denn wie gerecht ist ein Klimapakt, wenn die Ärmsten wieder die größten Lasten tragen?
Belém: Symbolisch stark – aber voller Widersprüche
Die Wahl des Tagungsorts ist ein Statement: Der Amazonas steht wie kein anderer Ort für Biodiversität, Klimaresilienz und das Gleichgewicht des Planeten. Präsident Lula betont das auch gerne. Doch gleichzeitig will Brasilien die Förderung von Öl und Gas massiv ausweiten – ein Widerspruch, der nicht nur Aktivisten irritiert.
In Gesprächen mit lokalen NGOs wird deutlich: Die Menschen hier spüren die Spannungen zwischen globalem Anspruch und nationaler Realität. „Wir schützen den Wald, während unsere Regierung neue Bohrlizenzen vergibt“, sagt eine indigene Vertreterin. „Was sollen wir davon halten?“
Die Rolle Europas: Worte oder Wandel?
Frankreich und andere EU-Staaten geben sich als Antreiber. Sie fordern ambitionierte Ziele, saubere Formulierungen und mehr Tempo beim Wandel. Das klingt gut – ist aber nur dann glaubwürdig, wenn auch zuhause gehandelt wird.
Ein französischer Delegierter meinte: „Wir wollen die Führungsrolle beim Klimaschutz behalten.“ Schön – aber dazu gehören auch mehr Geld, mehr Technologietransfer und die aktive Unterstützung ärmerer Länder. Ohne diese drei Zutaten wirkt die französische Diplomatie wie ein Bio-Siegel auf einem SUV.
Was jetzt passieren muss
Die Welt steht an einem Scheideweg. Der Planet hat sich seit Beginn der Industrialisierung bereits um über 1,2 Grad erwärmt. Extremwetter, schmelzende Gletscher, brennende Wälder – all das sind keine Zukunftsszenarien mehr, sondern die Gegenwart. Die COP30 ist vielleicht nicht der Ort für ein vollständiges Klimawunder – aber sie darf kein weiteres Kapitel in der Geschichte der vertanen Chancen werden.
Was gebraucht wird:
- Ein klarer Fahrplan für den Ausstieg aus fossilen Energien
- Verbindliche Finanzzusagen an besonders verletzliche Staaten
- Konkrete Mechanismen zur Umsetzung und Überprüfung der Klimaziele
- Ein echtes Verständnis dafür, dass Klimaschutz ohne soziale Gerechtigkeit nicht funktionieren kann
Persönliches Fazit – oder: Warum ich trotz allem Hoffnung habe
Wenn ich an Belém denke, sehe ich nicht nur einen Ort – ich sehe einen Spiegel. Einen Spiegel, der zeigt, wie widersprüchlich, verletzlich, aber auch wie kraftvoll der Kampf gegen die Klimakrise sein kann. Ich sehe junge Menschen auf der Straße, Wissenschaftler in hitzigen Debatten, indigene Stimmen, die endlich gehört werden – und Verhandler, die müde, aber entschlossen weiterdiskutieren.
Ist das alles genug? Nein.
Aber es ist ein Anfang.
Denn trotz der Frustration – die Hoffnung lebt weiter. Hoffnung, dass sich Vernunft durchsetzt. Hoffnung, dass die Verantwortlichen endlich den Mut finden, nicht nur zu reden, sondern zu handeln. Hoffnung, dass Belém vielleicht doch als Wendepunkt in die Geschichte eingeht.
Was bleibt also zu tun? Dranbleiben. Laut bleiben. Ungeduldig bleiben. Denn dieser Planet hat keine Lobby – aber er hat uns.
Von Andreas M. Brucker

