Der Moment, in dem Forschende meldeten, dass die globale Durchschnittstemperatur 2024 etwa 1,55 Grad über dem vorindustriellen Niveau lag, war wie ein Schlag in die Magengrube.
Viele Menschen dachten bisher, 1,5 Grad seien eine Art unsichtbare Wand. Als würde hinter dieser Temperaturgrenze plötzlich die Apokalypse losbrechen. Aber so einfach tickt das Klima nicht.
Ein bewegliches Ziel – und jedes Zehntelgrad zählt
Die 1,5-Grad-Marke ist kein Kippschalter. Sie ist vielmehr ein politisches Ziel, ein Appell an die Menschheit, damit wir nicht sehenden Auges in den Abgrund marschieren. Doch seien wir ehrlich: Schon jetzt spüren wir, wie sich die Welt verändert. Dürreperioden in Ostafrika. Brände in Kanada, die den Himmel bis nach New York vernebeln. Überschwemmungen in Deutschland und Texas, die ganze Dörfer verschlucken.
Und jetzt? Haben wir alles verloren, nur weil wir über 1,5 Grad hinausgeschossen sind?
Diese Frage stellen sich viele mit wachsender Panik. Doch die Antwort ist differenzierter. Jede Erwärmung – egal ob um 0,01 oder 0,1 Grad – erhöht das Risiko für extreme Wetterereignisse, das Schmelzen von Eisschilden und das Absterben ganzer Ökosysteme. Klartext: Es wird nicht plötzlich „schlimm“, es wird immer schlimmer, je länger wir die Emissionen von Treibhausgasen nicht drastisch senken.
Kipppunkte: Was genau steht auf dem Spiel?
Schon bei einer Erwärmung um 1,5 Grad drohen irreversible Veränderungen.
Das Eisschild Grönlands könnte vollständig abschmelzen – langfristig würde der Meeresspiegel um mehrere Meter steigen. Die Westantarktis? Ebenso instabil. Und als wäre das nicht schon bedrohlich genug, sterben Korallenriffe ab, wenn die Ozeane sich weiter erwärmen und versauern.
Die Zahlen sind kalt und sachlich. Die Realität dahinter ist jedoch brutal: Korallenriffe, auf denen Millionen Menschen weltweit ihre Ernährung und Einkommen aufbauen, könnten vollständig verschwinden.
Warum betrifft uns das alle?
Stell dir vor, dein Frühstücksei kostet plötzlich drei Euro, weil Futtermittel teurer werden. Stell dir vor, deine Lieblingsschokolade ist nicht mehr verfügbar, weil Kakaobäume in Westafrika vertrocknen. Klingt absurd? Ist es aber nicht.
Jede zusätzliche Erwärmung erhöht die Wahrscheinlichkeit von Dürren, Ernteausfällen, Hitzewellen und Überschwemmungen. Ganze Regionen werden unbewohnbar, Migrationsbewegungen nehmen zu, Konflikte verschärfen sich. Klimawandel ist eben kein Naturschutz-Thema für Akademiker in ihrer Bubble. Er betrifft dich. Mich. Uns alle.
Emissionsreduktion oder Anpassung? Beides, verdammt nochmal.
Oft wird darüber diskutiert, was „wichtiger“ ist: Emissionen senken oder sich anpassen? Die Antwort ist einfach. Es ist wie die zwei Reifen eines Fahrrads – bricht einer weg, landest du im Dreck.
Der Weltklimarat hat berechnet, dass wir bis 2030 unsere globalen CO₂-Emissionen um etwa 45 Prozent im Vergleich zu 2010 reduzieren müssen, um das 1,5-Grad-Ziel irgendwie in Reichweite zu halten.
Doch selbst wenn wir das schaffen, werden sich Klimaauswirkungen noch über Jahrhunderte entfalten. Deshalb müssen wir uns anpassen: Küstengebiete vor dem steigenden Meer schützen, Landwirtschaft klimaresilient gestalten, Wasserversorgung sichern.
Und nicht zu vergessen: gerechte Anpassungsmaßnahmen entwickeln. Warum? Weil die Menschen, die am wenigsten zur Klimakrise beitragen, am stärksten darunter leiden – und das ist schlichtweg eine bodenlose Ungerechtigkeit.
Hoffnung trotz schlechter Nachrichten?
Manche fragen sich: Lohnt es sich überhaupt noch? Ist der Drops nicht längst gelutscht?
Ehrlich? Nein.
Denn jede Tonne CO₂, die wir nicht ausstoßen, jede Zehntelgrad weniger Erwärmung, rettet Leben. Unsere Ozeane könnten zumindest teilweise Korallenriffe erhalten. Unsere Küsten könnten vor Sturmfluten besser geschützt sein. Und Kinder in Subsahara-Afrika könnten seltener an Hunger sterben, weil Ernten weniger stark ausfallen.
Was können wir tun?
Klingt vielleicht naiv, aber Handeln bleibt der einzige Weg. Politik, Industrie, Kommunen, Wissenschaft und jede einzelne Person müssen jetzt anpacken. Von der energetischen Gebäudesanierung über klimafreundliche Mobilität bis zu einer fairen Agrarwende.
Ich persönlich bin manchmal frustriert, wenn ich sehe, wie langsam der Wandel vorangeht. Wenn ich Menschen reden höre, die weiterhin Kohleprojekte verteidigen, könnte ich aus der Haut fahren. Aber dann erinnere ich mich daran: Veränderung kommt oft unerwartet schnell, wenn Kipppunkte im politischen Denken erreicht sind. Hoffen wir, dass diese schneller kippen als das Grönlandeis.
Warum wir nicht aufgeben dürfen
Stell dir vor, du stehst im brennenden Haus. Würdest du aufhören zu löschen, nur weil schon das halbe Dach eingestürzt ist?
Genau so ist es mit dem Klima. Auch wenn wir 1,5 Grad reißen, heißt das nicht, dass alles verloren ist. Es heißt nur: Jetzt erst recht. Die schlimmsten Folgen abzumildern – das bleibt unsere Aufgabe.
Und ja, ich glaube immer noch, dass wir das können. Nicht ohne Verletzungen, nicht ohne Opfer, aber mit dem festen Willen, unseren Kindern keine Welt zu hinterlassen, in der sie nur noch um ihr nacktes Überleben kämpfen.
Von Andreas M. B.