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Manche Naturgewalten lassen sich ankündigen, man kann sich darauf vorbereiten – aber sie niemals wirklich kontrollieren. Hurrikan Erick gehört genau in diese Kategorie. Ein Sturm, der innerhalb weniger Stunden von einem tropischen Wirbelsturm zu einem Monster der Kategorie 3 mutierte. Mit Windgeschwindigkeiten von über 200 Kilometern pro Stunde nähert er sich der mexikanischen Küste – und trifft auf eine Region, die noch die Narben vergangener Katastrophen trägt.

In den Abendstunden des 18. Juni verwandelte sich Erick in einen der gefährlichsten Stürme, die Mexiko in dieser frühen Phase der Hurrikansaison erlebt hat. Der Wirbelsturm liegt rund 90 Kilometer südwestlich von Puerto Ángel im Bundesstaat Oaxaca und bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von 15 Kilometern pro Stunde nordwestwärts.

Was bedeutet das konkret?

Das bedeutet: Es bleibt kaum Zeit. Der Sturm könnte in den frühen Morgenstunden auf Land treffen – möglicherweise nahe Puerto Escondido. Für die betroffenen Küstenbewohner läuft jetzt der Countdown.

Angst und Erinnerung: Das Trauma von Otis

Wer heute durch die Straßen von Acapulco läuft, spürt nicht nur Wind und feuchten Regen in der Luft – sondern auch eine kollektive Anspannung. Der Hurrikan Otis, der im Oktober 2023 die Region verwüstete, ist den Menschen noch bitter im Gedächtnis geblieben. Und jetzt? Steht ihnen erneut ein Sturm gegenüber, der das Potenzial hat, alles zu überfluten – wortwörtlich wie emotional.

Die Behörden haben aus Otis gelernt. Bereits 2.000 Notunterkünfte wurden vorbereitet, Schulen geschlossen, Veranstaltungen abgesagt. In Guerrero und Oaxaca brummt die Infrastruktur auf Notbetrieb. Wer kann, bringt sich und seine Familie in Sicherheit. Wer Fischer kennt, weiß: Wenn die Boote an Land geholt werden, wird’s ernst.

Die Wetterküche des Pazifiks

Warum ist dieser Sturm so schnell so stark geworden?

Die Antwort liegt im Meer. Hohe Oberflächentemperaturen – idealer Treibstoff für tropische Systeme. Hinzu kommt eine niedrige Windscherung, die dem Sturm erlaubt, seine Struktur stabil auszubauen. Das Ergebnis: Ein perfekt genährtes Wetterbiest.

Solche raschen Intensivierungen nehmen zu. Und das ist kein Zufall. Der Klimawandel liefert nicht nur wärmeres Wasser, sondern auch eine Atmosphäre, die mehr Feuchtigkeit speichert – eine explosive Mischung, wenn sie auf Zyklone trifft.

Küsten in Alarmbereitschaft

In den betroffenen Regionen rechnet man mit bis zu 40 Zentimetern (400 Liter / m2!) Niederschlag. Das ist nicht einfach nur „viel Regen“ – das bedeutet Erdrutschgefahr, geflutete Flussläufe, zerstörte Straßen und massive Sachschäden. In den Bergen von Oaxaca und Guerrero können kleine Bäche innerhalb weniger Minuten zu reißenden Strömen werden.

Eine rhetorische Frage drängt sich auf: Wie viele solcher Warnschüsse braucht es noch, bis Klimaschutz nicht mehr diskutiert, sondern gemacht wird?

Mobilmachung mit Militär

Die Regierung hat über 18.000 Einsatzkräfte aktiviert. Marine, Militär, Zivilschutz – sie alle sind auf den Beinen. Und das muss auch so sein. Denn was heute noch eine Sturmwarnung ist, kann morgen schon eine humanitäre Katastrophe sein.

Die Menschen in der Region wissen das. Sie wissen, wie wichtig es ist, rechtzeitig zu reagieren. Und sie wissen, wie trügerisch ein ruhiger Abend vor dem Sturm sein kann.

Wie weiter nach dem Sturm?

Natürlich, Rettung und Schutz stehen jetzt im Vordergrund. Aber danach – was dann?

Der Wiederaufbau nach solchen Extremereignissen kostet nicht nur Geld, sondern auch soziale Energie. Gerade arme und ländliche Bevölkerungsgruppen leiden unverhältnismäßig stark. Wer kein solides Haus hat, keinen Rückzugsort, keine Versicherung – der verliert im schlimmsten Fall alles.

Es ist höchste Zeit, dass Klimaanpassung auch als Frage der sozialen Gerechtigkeit verstanden wird. Wer will, dass Menschen mit Würde durch solche Krisen kommen, muss Strukturen schaffen, die fair und zugänglich sind.

Was können wir tun?

Hier, aus sicherer Entfernung, wirkt ein Hurrikan wie Erick wie ein weiteres Naturphänomen in der Nachrichtenflut. Doch in Wahrheit zeigt er: Die Klimakrise ist konkret. Sie hat Namen. Sie hat Gesichter. Und sie trifft – mal wieder – jene, die am wenigsten zu ihr beigetragen haben.

Vielleicht ist genau jetzt der Moment, innezuhalten. Sich zu fragen: Was ist unser Beitrag? Und wie können wir dafür sorgen, dass diese „neue Normalität“ nicht zur dauerhaften Katastrophe wird?

Noch sind es nicht die globalen Superstädte, die am stärksten betroffen sind. Noch trifft es die Dörfer, die Buchten, die kleinen Orte an der Pazifikküste. Aber glaubt wirklich jemand, das bleibt so?

Erick ist ein Warnsignal. Eines von vielen. Hören wir endlich hin.

Von Andreas M. Brucker