Du atmest gerade ein – klingt harmlos, oder?
Doch was, wenn die Luft, die du atmest, dich langsam krank macht? Was, wenn sie dein Risiko erhöht, früher zu sterben? In Südostasien ist das keine düstere Dystopie, sondern bittere Realität. Eine neue Studie der Nanyang Technological University (NTU) aus Singapur legt den Finger in die Wunde: Bis 2050 könnten dort jährlich bis zu 36.000 Menschenleben gerettet werden – wenn endlich härtere Maßnahmen gegen die unsichtbare Gefahr am Himmel ergriffen werden.
Was uns da bedroht? Bodennahe Ozonbelastung. Ein unsichtbarer Killer, der keine Schlagzeilen macht – aber unsere Atemwege zersetzt.
Die stille Gefahr unter der Sonne
Ozon kennen viele nur als schützende Schicht hoch oben in der Atmosphäre – ein natürlicher UV-Blocker. Doch am Boden wirkt dieses Gas ganz anders. Es entsteht, wenn Stickoxide (NOₓ) und flüchtige organische Verbindungen (VOCs) bei Sonneneinstrahlung miteinander reagieren. Diese Stoffe stammen meist aus der Verbrennung fossiler Energien – also Autos, Kohlekraftwerke, Industrieanlagen, sogar aus Schiffen.
Während die Ozonschicht hoch oben das Leben schützt, greift das bodennahe Ozon das Leben an.
Es reizt die Atemwege, verschärft Asthma, erhöht das Risiko für Herzinfarkte und kann zum Tod führen. Besonders Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen sind betroffen – aber auch Gesunde bleiben nicht ungeschoren.
Drei Wege in die Zukunft – und nur einer rettet Leben
Die NTU-Forscher haben drei Szenarien modelliert. Alle führen in unterschiedliche Richtungen – und erzählen damit drei mögliche Zukunftsgeschichten für Millionen Menschen in Indonesien, Thailand, Vietnam, Malaysia und den Philippinen.
Szenario 1: Business as usual.
Man setzt um, was sowieso schon beschlossen wurde: einige geplante Emissionsminderungen, ein bisschen mehr öffentlicher Verkehr, ein paar strengere Grenzwerte. Ergebnis? Rund 22.000 Leben könnten jährlich gerettet werden. Nicht schlecht – aber eben nicht das Maximum.
Szenario 2: Ambitionierter Klimaschutz.
Hier passiert richtig was: kräftige Investitionen in emissionsarme Technologien, massive Förderung des ÖPNV, gezielte Maßnahmen gegen Schiffsabgase. Und siehe da – plötzlich sind bis zu 36.000 Leben pro Jahr gerettet. Das ist mehr als die Bevölkerung einer Kleinstadt wie Amberg oder Garmisch-Partenkirchen.
Szenario 3: Weiter wie bisher, mit Turbo.
Das hohe Emissionsszenario. Noch mehr Autos. Noch mehr Industrie. Noch mehr fossile Brennstoffe. Das Resultat? Bis zu 33.000 zusätzliche Tote – jedes Jahr. Eine Katastrophe mit Ansage.
Warum stinkt Bangkok mehr als Kalimantan?
Die Studie schaut auch genau hin: Woher kommen die Ozonvorläuferstoffe – und wo belasten sie besonders stark?
In Städten wie Jakarta, Bangkok oder Singapur tragen sowohl NOₓ als auch VOCs zur Ozonbildung bei. Diese Urban Hotspots sind regelrechte Chemieküchen – unter tropischer Sonne wird die Luft hier schnell zur Gefahr.
In ländlicheren Regionen – etwa in Kalimantan oder entlang der Straße von Malakka – sind vor allem Stickoxide der Hauptschuldige. Der Grund: viel weniger Industrie, aber oft veraltete Dieselmotoren oder Schiffe mit Schweröl-Antrieb.
Heißt: Es gibt keine Einheitslösung. Jeder Ort braucht eigene Antworten – maßgeschneidert wie ein guter Anzug.
Wenn Luft keine Grenzen kennt
Luft macht nicht halt an Landesgrenzen. Wer in Vietnam giftige Abgase rausbläst, schickt sie manchmal nach Kambodscha oder Thailand weiter. Was folgt, ist ein Spiel mit verschobenen Verantwortlichkeiten.
Stell dir vor, dein Nachbar verbrennt jeden Tag Plastik – und du bekommst den Rauch ab.
Deshalb braucht Südostasien eines ganz dringend: Zusammenarbeit. Gemeinsame Standards. Austausch von Daten und Know-how. Gemeinsame Strategien. Sonst wird aus einem regionalen Problem ein gesundheitspolitisches Armageddon.
Und was bedeutet das für den Alltag?
Vielleicht fragst du dich jetzt: Was hat das mit mir zu tun?
Nun, sehr viel. Denn das, was dort passiert, betrifft uns alle. Erstens durch den Klimawandel – denn Ozon wirkt auch als Treibhausgas. Zweitens durch globale Wirtschaftsverflechtungen. Viele Produkte, die wir konsumieren, werden in Südostasien hergestellt – unter Einsatz von Energie, die eben nicht grün ist.
Außerdem zeigt der Fall Südostasien: Wenn wir nicht gezielt handeln, wird Luftverschmutzung zum Hauptproblem des 21. Jahrhunderts – neben der Erderhitzung. Die beiden Themen lassen sich nicht trennen. Wer weniger CO₂ ausstößt, reduziert meist auch NOₓ und VOCs.
Ein persönlicher Gedanke
Ich bin oft in Asien unterwegs gewesen. Habe den Dunst über Jakarta gesehen, das Kratzen im Hals gespürt, wenn man in Bangkok zur Rushhour auf der Straße steht. Ich erinnere mich an Gespräche mit Taxi- und Tuk-Tuk-Fahrern, die seit Jahren chronisch husten. Oder mit Lehrerinnen, die sagen, dass ihre Schüler an „schlechten Lufttagen“ nicht mehr raus dürfen.
Es macht wütend – und traurig. Denn das sind keine Naturkatastrophen. Das sind politische Entscheidungen. Oder besser gesagt: das Fehlen solcher.
Aber genau deshalb bleibt auch Hoffnung. Denn Studien wie diese liefern etwas sehr Konkretes: einen Handlungsplan. Und sie zeigen: Es ist nicht zu spät. Noch nicht.
Jetzt handeln – bevor die Uhr abläuft
Der Weckruf der NTU kommt zur rechten Zeit. Südostasien steht an einem Scheideweg. Es kann sich entscheiden: für saubere Luft und Menschenleben – oder für wirtschaftliches Wachstum auf Kosten der Gesundheit.
Warum nicht beides verbinden?
Technologie und politische Weitsicht könnten gemeinsam den Unterschied machen. Der Preis des Nichthandelns ist zu hoch – nicht nur moralisch, sondern auch volkswirtschaftlich. Denn kranke Menschen können nicht arbeiten, verursachen hohe Gesundheitskosten und mindern die Lebensqualität ganzer Generationen.
Was also braucht es?
- Strengere Grenzwerte für Industrie und Verkehr
- Förderung nachhaltiger Mobilität
- Verzicht auf Schweröl in der Schifffahrt
- Internationale Kooperation und Transparenz
- Investitionen in saubere Energien
Klingt nach viel?
Ist es auch. Aber auch nach einer besseren Zukunft – nicht nur für Südostasien.
Von Andreas M. Brucker
Quellen:
- ScienceDaily: Southeast Asia could prevent up to 36,000 ozone-related early deaths a year by 2050 with stricter air pollution controls
https://www.sciencedaily.com/releases/2025/05/250521125115.htm - NTU Singapore: Stricter air pollution controls could prevent 36,000 deaths by 2050
https://www.ntu.edu.sg/news/detail/stricter-air-pollution-controls-could-prevent-36-000-deaths-by-2050–study - LiCAS.news: Study: Southeast Asia can avert 36,000 ozone-related deaths yearly with tighter pollution controls
https://www.licas.news/2025/05/22/study-southeast-asia-can-avert-36000-ozone-related-deaths-yearly-with-tighter-pollution-controls/ - Wikipedia: Ground-level ozone
https://en.wikipedia.org/wiki/Ground-level_ozone