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Manchmal ist es nicht der Sturm, der am lautesten zerstört – sondern das Schweigen danach. Der Klimawandel hat viele Gesichter: ausgedörrte Felder, überflutete Küsten, brennende Wälder. Doch es gibt eine Ebene, die in der öffentlichen Diskussion viel zu oft übersehen wird – die psychische Gesundheit. Besonders in Regionen wie dem Süden Madagaskars, wo Klimakrisen längst kein abstraktes Zukunftsszenario mehr sind, sondern bittere Realität, zeigen sich tiefgreifende seelische Erschütterungen.

Madagaskar: Hunger, Angst und Hoffnungslosigkeit

Eine kürzlich erschienene Studie im Journal of Climate Change and Health nimmt genau diese Region unter die Lupe. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache – und sie sind erschütternd: In sechs ländlichen Dörfern gaben 90 Prozent der Haushalte an, im letzten Jahr unter akuter Nahrungsmittelknappheit gelitten zu haben. Ganze 69 Prozent der Jugendlichen mussten mindestens einen Tag lang komplett ohne Nahrung auskommen.

Was bedeutet das für eine junge Seele? Für einen Jugendlichen, der eigentlich Träume haben sollte statt Sorgen? Die Antwort: Angst, Depression, Hoffnungslosigkeit.

Drei Wege ins seelische Dürregebiet

Die Forschenden identifizierten drei zentrale Mechanismen, durch die der Klimawandel die Psyche der Jugendlichen massiv belastet:

  1. Verlust von Haushaltsressourcen: Dürreperioden zerstören Ernten und vernichten Viehbestände. Wenn die Versorgung zusammenbricht, zerbricht auch das Sicherheitsgefühl.
  2. Zukunftsangst: Wenn das Wetter zum unberechenbaren Risiko wird, fällt es schwer, Perspektiven zu entwickeln. Was soll man planen, wenn das Morgen ungewiss ist?
  3. Störung traditioneller Bewältigungsmechanismen: In vielen Kulturen spielen soziale Rituale, Feste und Gemeinschaftsarbeit eine tragende Rolle für seelische Resilienz. Doch klimatische Veränderungen unterbrechen oder verhindern diese Praktiken – und reißen emotionale Schutzschilde ein.

Solastalgie – die neue Trauerform

Es gibt ein Wort für diese Art von Verlust: Solastalgie. Es beschreibt die seelische Erschütterung, die Menschen erleben, wenn ihre vertraute Umgebung sich rapide verändert oder zerstört wird. Es ist eine Trauer – nicht um einen geliebten Menschen, sondern um einen Ort, um eine Landschaft, um ein Gefühl von Heimat.

Dieses Phänomen beschränkt sich nicht auf Madagaskar. Weltweit berichten Menschen aus klimatisch sensiblen Regionen von ähnlichen Gefühlen: Leere, Entwurzelung, Verzweiflung.

Und die Lage spitzt sich zu.

Wenn das Wetter zur Wunde wird

Hitzewellen, Überschwemmungen, Stürme – sie hinterlassen nicht nur zerstörte Häuser, sondern auch traumatisierte Menschen. Die Forschung zeigt klare Zusammenhänge zwischen extremen Wetterereignissen und einem Anstieg psychischer Erkrankungen.

Die Häufigkeit von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), Depressionen und Angststörungen steigt mit jedem Grad auf dem Thermometer. In einigen Regionen wurde sogar ein Zusammenhang zwischen zunehmender Hitze und steigenden Suizidraten festgestellt. Das ist mehr als ein statistisches Signal – das ist ein menschlicher Notruf.

Was jetzt?

Hier liegt die Crux: Die meisten Klimaanpassungsstrategien konzentrieren sich auf Infrastruktur, Landwirtschaft oder Wassermanagement – alles wichtig, keine Frage. Aber was ist mit der Psyche? Was ist mit der stillen Not der Menschen, die alles verlieren – auch ihre innere Stabilität?

Psychische Gesundheit muss Teil jeder Klimastrategie sein. Und zwar nicht als Feigenblatt, sondern als zentrales Handlungsfeld. Das heißt konkret: psychologische Notfallversorgung nach Extremereignissen, langfristige Traumatherapie-Angebote, Aufbau von Resilienz in besonders betroffenen Gemeinschaften. Und: präventive Bildungsarbeit, die bereits Jugendliche in die Lage versetzt, mit Unsicherheit und Veränderung besser umzugehen.

Ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit

Wenn wir über Klimaanpassung sprechen, dann sollten wir auch über Empathie sprechen. Über Fürsorge. Über das Recht auf seelische Unversehrtheit. Denn was bringt der schönste Damm gegen das nächste Hochwasser, wenn die Menschen dahinter innerlich zusammenbrechen?

Der Klimawandel ist nicht nur eine ökologische und ökonomische Krise – er ist auch eine tiefgreifende psychosoziale Krise. Und genau deshalb brauchen wir ganzheitliche Lösungen, die Körper und Geist gleichermaßen schützen.

Ein Gedanke zum Schluss

Manchmal frage ich mich: Wie lange sehen wir noch zu, wie ganze Generationen an Hoffnung verlieren, bevor wir anfangen, sie wirklich zu hören? Und wenn wir ihre Stimmen endlich wahrnehmen – sind wir dann bereit, entsprechend zu handeln?

Es ist höchste Zeit.

Andreas M. Brucker